Geburt eines Godard-Kultfilms auf einer Stoffserviette
Filmhistoriker und Journalisten sprechen von einer "Legende", wenn es darum geht, das Zustandekommen eines der wohl skurrilsten Werke des visionären Filmkünstlers Jean-Luc Godard zu schildern: "King Lear".
Zum 400. Shakespeare-Todestag wird der Film nun weltweit in ausgewählten Kinos gezeigt, im Wiener Burg Kino "King Lear" als österreichische Erstaufführung in englischer Originalfassung.
Der Vertrag zwischen Godard und dem 2014 verstorbenen Hollywood-Mogul Menahem Golan, einem der Geschäftsführer von Cannon, wurde tatsächlich im Jahr 1985 in Cannes besiegelt – allerdings nicht auf einem Tischtuch, sondern auf einer Stoffserviette.
Der Grund für die Auszeichnung, bei diesem Ereignis exklusiv dabei sein zu dürfen, lag in einer Frage, die ich am Tag davor – auf Wunsch der ORF-"Zeit im Bild"-Kollegen – an Menahem Golan gestellt hatte und die – das muss man vorausschicken – vor dreißig Jahren noch den damaligen Gegebenheiten entsprach: "Stimmt es, dass sich während der Filmfestspiele täglich Dutzende Starlets am Strand nackt ausziehen, um von Hollywoodproduzenten entdeckt zu werden?"
Beleidigt
Menahem Golan reagierte damals eher beleidigt als amüsiert, denn er hatte zwar bereits mehr als Tausend Filme gedreht, in denen es meist um Sex und Gewalt ging, doch der Selfmade-Man hatte auch künstlerische Ambitionen und bestand darauf, dass ich beim Beweis dafür dabei sein sollte: Er wollte mit europäischen Regisseuren das Renommee seines Filmstudios aufbessern, und da waren Jean-Luc Godard und "King Lear" allemal gute Namen.
Jean-Luc Godard, von Menahem Golan gleich nach der Vertragsunterzeichnung dazu gezwungen, mir ein kurzes Interview zu geben, meinte damals bissig: "Golan und sein Cousin Yoram Globus sind nur zwei Banker, die glauben, sie könnten Filme produzieren. Aber sie sind in Wahrheit nur Finanzhaie ohne künstlerische Sensibilität".
Das zwei Jahre später gelieferte Godard-Werk wurde nur einmal während der Filmfestspiele in Cannes gezeigt, dann aber vom Cannon-Studio als vertragswidrig abgelehnt.
Dass Norman Mailer das Drehbuch schrieb, wollte mir Woody Allen, der im Film so etwas wie den Hofnarren gibt, bei einem späteren Interview kaum glauben: "Norman Mailer hat tatsächlich ein Drehbuch zu diesem Film geschrieben? Nun, als ich am Drehort war, gab es kein Drehbuch – ich habe jedenfalls keine einzige geschriebene Zeile gesehen. Ich habe einen halben Tag gedreht und mich dabei völlig in Godards Hände begeben. Ich sollte nur irgendetwas Verrücktes vor der Kamera tun – und weil es Godard war, habe ich es auch getan. Es war wohl die verrückteste Erfahrung, die ich je hatte. Ich wundere mich, dass da überhaupt ein Film herausgekommen ist."
Was ihr wollt
Auch zum Inhalt des Films konnte Woody Allen nichts Erhellendes beitragen: "Godard hat sich sehr unklar ausgedrückt, worum es in diesem Film geht. Zuerst sagte er, dass im Mittelpunkt der Crash eines Lear Jets stehen sollte – und dann meinte er, dass im Film alle Regisseure zu Wort kommen, die je einen ,King Lear‘ inszeniert hatten – von Kurosawa bis zur Royal Shakespeare Company. Mir sagte er, dass ich über den Film erzählen könnte, was ich wollte."
Nun, Jean-Luc Godard ist ohne Zweifel ein virtuoser Meister der Montage, dessen avantgardistische Werke Generationen von Filmemachern weltweit inspiriert haben und immer noch inspirieren. Seine unkonventionellen Ideen, seine Vorliebe, herkömmliche Erzählstrukturen – wie etwa den "King Lear" – auf den Kopf stellen und durch seine Wahrnehmung als gesellschaftskritischer Zeitzeuge zu bereichern wie auch zu verwirren, waren nicht selten eine Herausforderung für das Publikum. Als Mitbegründer der Nouvelle Vague hatte er sich gegen die (un)geschriebenen Gesetze des Kinos aufgelehnt und eine unverkennbare Filmsprache geschaffen, die auch in seinem einzigen englischsprachigen Film "King Lear" zu spüren ist.
Von Gabriele Flossmann
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