Ist es erlaubt, dass das Leben mit einer Affäre endet?

Medizin, Religion – und Eheleben: Atheist Ian McEwan, 66, lebt in zweiter Ehe in London
"Kindeswohl" - Ian McEwan hat sich für seine "Heldin" echte Rechtsfälle ausgeborgt

Alles ist so kompliziert, und es ist ja nicht einmal die Frage zu lösen, ob Jack ein Recht darauf hat, eine Geliebte zu haben, weil Fiona Maye, seine Ehefrau seit 35 Jahren, so kalt geworden ist.

Jack schreit sie an: "Ich bin dein Bruder geworden. Das ist schön und behaglich, und ich liebe dich, aber bevor ich tot umfalle, will ich noch eine große, leidenschaftliche Affäre haben."

Bei einem Literaturstar wie Ian McEwan ("Abbitte", "Saturday", "Am Strand") muss ein solches Thema freilich mehr Gewicht bekommen als in einem sogenannten Unterhaltungsroman: Also muss schon sprachlich etwas geboten werden.

Deshalb heißt es bei McEwan, dass im Oktober "das erschöpfte Jahr in den letzten Zügen liegt".

Und zwei der Hauptpersonen müssen Benjamin Brittens vertontes Yeats-Gedicht "Beim Weidengarten" singen und auf der Geige spielen:

"Nimm leicht das Leben, bat sie ..."

Nein, sein bester Roman ist " Kindeswohl" bestimmt nicht. Aber wenn man den geschraubten zweiten Teil, über den man an dieser Stelle lieber nichts verraten sollte, weglässt, bleibt ein interessantes Thema.

McEwan selbst war fasziniert, als er mit Familienrichtern zusammensaß und sie erzählten ...

Leukämie

Und so ist "seine" 59-jährige Fiona Maye englische Höchstrichterin für Familienangelegenheiten. Im Talar fällt sie souverän die schwierigsten Entscheidungen, privat kennt sie sich nicht mehr aus:

Sie will ihren Ehemann zurück bzw. sie will ihn nie wieder sehen.

Ist es erlaubt, dass das Leben mit einer Affäre endet?
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McEwan hat sich für seine "Heldin" echte Rechtsfälle ausgeborgt, z. B. vom echten Richter Sir Alan Ward, der siamesische Zwillinge trennen ließ – was den Tod eines Buben bedeutete. Die katholischen Eltern hatten gemeint, Gott möge tun, was er will.

Im Zentrum stehen Fiona Maye und ein fast volljähriger Bursche. Leukämie hat er und lehnt Bluttransfusionen ab. Er ist Zeuge Jehovas, seine Eltern sind stolz auf ihn. Die Richterin setzt sich zu ihm ans Spitalsbett, man singt miteinander ...

Wie Fiona urteilt, ist klar. McEwan musste mehr bieten und das Drama weiterschreiben. Er führt es weg von der Religion, er führt es zu einem Kuss mit Folgen. Bei Religion will sich der Atheist nicht aufhalten. Er träumt von einer Welt ohne Religion.

KURIER-Wertung:

INFO: Ian McEwan: „Kindeswohl“ Übersetzt von Werner Schmitz. Diogenes Verlag. 224 Seiten. 22,60 Euro.

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