Kinderfotos mit erstaunlich viel Zeitgeschichte
Der sechsjährige Arthur Schnitzler, Klein-Hofmannsthal in Tracht, das Familienalbum der Wittgensteins – und nur eine Vitrine weiter Minderjährige bei der Arbeit in einer Maschinenfabrik 1912 und Kids, die in Kriegsruinen spielen ...
Kinderfotos sprechen vor allem die Emotion an. So auch die Ausstellung „Kinder, wie die Zeit vergeht! Kleine Prinzen und große Mädchen in historischen Fotografien“ (bis 23. 2.) im Prunksaal der österreichischen Nationalbibliothek. Rund 250 zum Teil noch nie öffentlich gezeigte Exponate von ca. 1870 bis in die 1970er-Jahre lassen ein Jahrhundert lebendig werden und erzählen erstaunlich viel Zeitgeschichte.
Wandel
Allein wie sich die Selbstdarstellung gewandelt hat: Die adrett herausgeputzte Erzherzogin Valerie neben einem ebenso großen Bernhardiner anno 1871 oder der dreijährige Kronprinz Rudolf in Oberstuniform. Später hat man Generationen fürs Erinnerungsfoto in Matrosenanzüge gesteckt, wie sie heute nur noch die Sängerknaben tragen. Ehe die Bluejeans die Herzen der Heranwachsenden eroberten, und Kinder nicht mehr als „kleine Erwachsene“ wie zur Zeit der Großväter abgelichtet wurden. Und die Geschlechterrollen klar definiert waren: „Aus Knaben werden Männer, aus Mädchen werden Bräute.“
Voller Erinnerungen Idealisiert sind „Wiener Typen“ wie „Schusterbub“ oder „Schlosserjunge“ dargestellt, wobei die Alltagsrealität ausgeblendet bleibt. Andere Bilder im Stil der frühen Sozialreportage zeigen hingegen sehr wohl ihr hartes Los, ehe das Arbeitsverbot für Kinder unter 12 Jahren 1918 in Österreich Gesetz wurde.
Krise
Dokumentiert sind auch die Auswirkungen von Wirtschaftskrise, Armut, Arbeitslosigkeit, prekären Wohnverhältnissen und Krieg auf die kindliche Lebensrealität. Bundeskanzler Bruno Kreisky wird später in seinen Erinnerungen sagen: „Der Krieg hat uns Kinder rasch reif werden lassen.“ Manche Ansichten der Ausstellung aus den 50er-, 60er- oder 70er-Jahren kommen einem noch aus der eigenen Jugend bekannt vor.
Denn Fotografien halten die Zeit fest und machen gerade dadurch das Voranschreiten der Zeit bewusst. „In unseren Kinderfotos erkennen wir, wie wir einmal waren, und wissen doch genau, dass wir längst nicht mehr so sind“, sagt ÖNB-Direktorin Johanna Rachinger. Insofern habe der Blick „auf das Alltagsleben vergangener Tage“ auch etwas von einer „Suche nach der verlorenen Zeit“.
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