Rotes Tuch
Dafür wird ihr sozusagen ein Computer als „Partner“ zur Seite gestellt. Den kann sie eben am Handgelenk tragen und ihn als Hologramm wahlweise als Mann oder Frau projizieren. Einen Namen hat er auch: Lock. Für die Witwe freilich ist KI ein noch röteres Tuch als für andere, weil der Krebs ihres Mannes durch eine KI-Fehldiagnose zu spät entdeckt worden war. Autorin Jo Callaghan hat manches gemeinsam mit ihrer Hauptfigur. Auch sie kehrte als Frau mittleren Alters nach einer längeren Pause zurück in ihren Job, auch ihr Mann ist an Krebs verstorben. Auch er hat fatale Fehldiagnosen erhalten – aber von Menschen. „Ich wollte Kat einen Grund geben, warum sie so zynisch über KI denkt.“
Schon Isaac Asimov hat in „Die Stahlhöhlen“ einem skeptischen Detektiv einen Androiden zur Seite gestellt. Diese Fantasie ist heute viel wahrscheinlicher als damals. Tatsächlich hat Callaghan bei der Recherche festgestellt: „Bei der Polizei wird schon sehr viel mit KI-Algorithmen gearbeitet. Etwa, wenn es darum geht, Gesichter auf Überwachungskameras zu erkennen. KI schafft das in zwei Sekunden, Menschen brauchen Wochen. Aber der Nachteil ist: Die Bilder, mit denen die KI trainiert wird, sind hauptsächlich weiße Männer. Sie hat daher Schwierigkeiten, schwarze junge Frauen zu erkennen. Mit historischen Verbrechensdaten kann die KI zwar voraussagen, wo in der Stadt es wahrscheinlich ist, dass ein Raubüberfall stattfindet. Aber auch hier werden unsere Vorurteile weiterverarbeitet.“
Keine Kontrolle
Die Tatsache, dass KI allein nur mit Daten und Beweisen arbeitet und selbst kein Urteil abgibt, ist daher ein wichtiges Thema im Roman. Die totale Neutralität wird Kat als Vorteil der Technologie gegenüber dem emotionalen Menschen angepriesen. Sie ist aber der Meinung, dass gewisse Schlüsse in einer Ermittlung emotionale Intelligenz erfordern – die eine Maschine nun einmal nicht hat.
Wobei – es scheint fast, als würde Lock im Lauf der Geschichte eine Art Bewusstsein erlangen. Nicht zuletzt eine solche mögliche Entwicklung macht Menschen Angst: „Diese KIs lernen immer dazu. Kat und der Leser wissen nie, was Lock gerade denkt. Man weiß nicht, wann die Maschine lernt. Aber es ist ja in unserem heutigen Alltag nicht viel anders: Unser Smartphone, Alexa, die wissen alles über uns. Aus Bequemlichkeit stimmen wir allem zu. Irgendwann kam der Punkt, wo wir die Kontrolle über unsere Informationen verloren haben.“
Zukunftsszenarien
Callaghan findet, diese Kontrolle sollten wir uns schleunigst zurückholen. „Wir sollten KI dafür nutzen, unsere Welt so zu formen, dass wir ein gutes Leben haben. Man sollte sie für die gefährlichen, dreckigen und langweiligen Jobs einsetzen. Die, die niemand machen will. Stattdessen macht die KI jetzt die schönen Sachen: Schreiben, Geschichten erzählen. Ich hätte gerne eine KI, die mir den Müll rausträgt, damit ICH mehr Zeit habe zu schreiben“, sagt sie und lacht.
In ihrem „Brotjob“ ist die Britin Unternehmensstrategin und erforscht dabei unter anderem, wie sich Künstliche Intelligenz auf die Zukunft der Arbeitswelt auswirken könnte. Eines der Szenarien zeigt, dass die Vorbeugung von Krankheiten noch wichtiger wird, weil das Gesundheitssystem sonst kollabieren wird. Bei der Vorsorge könnten AI-Apps helfen. „Das bedeutet aber, dass man darin investieren muss, dass die Gesellschaft auch Zugang dazu hat – also zum einen jeder über ein Smartphone und Internet verfügt und zum anderen auch damit umgehen kann.“ Auf Englisch ist bereits der zweite Band der „Kat & Lock“-Reihe („Leave No Trace“) erschienen, sie ist als Vierteiler angelegt. „Allzu weit in die Zukunft kann man ja bei dieser Geschichte nicht planen. Denn die Entwicklung in dieser Technologie geht so rasant schnell. Sonst überholt mich die Realität“, sagt Callaghan. Vielleicht ist bald das einzige Feature von Lock, das es bis jetzt tatsächlich nicht gibt, die Echtzeit-Konversation, auch schon möglich.
Kommentare