KHM: Kunstkammer und Gruselkabinett

Vanitas-Köpfe aus Elfenbein in der Schau "During the Night". Deutschland, 1. Hälfte 17. Jahrhunderts
Künstler und Autor Edmund de Waal gestaltete mit Museumsbeständen eine Kammer des Schreckens.

Die Tür geht auf. Der Raum drinnen ist stockfinster. Da, ein Licht: Eine alte Frau blickt aus einem Gemälde herab, ihr Blick mürrisch, fast prüfend. Er lässt einen nicht mehr los. Folgen einem die Augen der Alten, als man sich zaghaft weiter ins Dunkel vorwagt? Bewegt sich die Person im Bild gar?

KHM: Kunstkammer und Gruselkabinett
Balthasar Denner, Alte Frau, KHM, honorarfrei
Es ist eine Rhetorik des Unheimlichen, die die von Edmund de Waal arrangierte Ausstellung im Wiener KHM (bis 29.1. 2017) durchzieht. Man kennt sie eher aus Spukgeschichten, die in alten Schlössern spielen – aus den wohl beleuchteten, klimatisierten Räumen eines modernen Museums ist das Gruselige heute eigentlich verschwunden.

Magisches Museum

Nichtsdestotrotz ist ein großer Teil der Bestände, die heute als „Kunst“ im Museum lagern, in einem magischen Denken verwurzelt: Bilder und Objekte dienten dazu, das Böse zu vergegenwärtigen und zu bannen; die Urform des Museums, die Kunst- und Wunderkammer, versuchte, durch eine Objektsammlung der Welt buchstäblich „Herr zu werden“.

Edmund de Waal wiederum beharrt wie wenige Künstler der Gegenwart darauf, dass Dinge einen Geist besitzen und ihn auch behalten. Dies ist der Mann, der jahrelang eine japanische Hasenfigur in der Tasche trug, weil in ihr die Geschichte seiner Familie steckte – der Bestseller „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ (2011) erzählt davon. In de Waals Keramikkunst geht es wiederum um den geistigen Aspekt des Handwerks, um den Versuch, „einen kleinen Teil der Welt zur Ruhe kommen zu lassen, einen Innenraum zu schaffen“, wie es in seinem neuem Buch (siehe unten) heißt.

Auch de Waals KHM-Ausstellung ist in diesem Sinn ein Gefäß, in dem Immaterielles gebannt ist: Nämlich das Gefühl des Ausgesetztseins und der Angst.

KHM: Kunstkammer und Gruselkabinett
Edmund de Waal /honorarfrei in Zusammenhang mit Ausstellung
Als Kristallisationspunkt diente dem Künstler, der vor fünf Jahren zu einer Ausstellung mit KHM-Museumsbeständen eingeladen wurde, ein selten gezeigtes Blatt Albrecht Dürers, das „Traumgesicht“: Unter einem fast abstrakt anmutenden Aquarell vermerkte der Künstler anno 1525, er sei mitten in der Nacht aufgewacht und habe eine apokalyptische Vision gesehen, in der Unmengen Wasser vom Himmel fielen.

Sintflut naht

Die Idee eines nahenden Untergangs hallt in den Vitrinen wider, die de Waal rundum im Saal arrangierte. Zu einer „Allegorie der Eitelkeit“, die Leonhard Bramer 1640 malte, gesellt sich eine „Allegorie der Vergänglichkeit“ wie ein Röntgenbild dazu – die edlen Gegenstände im einen Bild sind im anderen zerschlagen, der eitle Sammler zum Knochenmann erstarrt.

Anderswo wird ein Fischfossil durch einen eingravierten Begleittext zum Beweis stilisiert, dass die Sintflut stattgefunden hat. Parallel wurden Schreckensdinge durch ihre Transformation zu Kunstkammerobjekten „umgepolt“ – die aus Haifischzähnen gefertigte „Natternzungen-Kredenz“ etwa sollte Giftattacken abwehren.

De Waal gelingt es, die historischen Objekte mit universellen menschlichen Befindlichkeiten kurzzuschließen – das Gefühl des Bedrohtseins, das Dürer einst verspürte, ist uns heute nicht fremd. Auf die Frage, welche Rolle der „Geist der Dinge“ in unserer heutigen Gesellschaft, in unserem Weltbild spielen könnte, antwortet die Schau allerdings nicht. Dass wir in Zukunft Talismane gegen den Klimawandel tragen, wird wohl keine Lösung sein.

Wenn das KHM nun die „dunkle Seite“ des Edmund de Waal zeigt, so demonstriert das neue Buch des Künstlers, „Die weiße Straße“, seine helle: Es geht um Porzellan, jenen geschichtsträchtigen weißen Stoff, der den Keramik-Experten seit früher Jugend fasziniert.

KHM: Kunstkammer und Gruselkabinett
Zsolnay Verlag, honorarfrei
„Auf den Spuren meiner Leidenschaft“ reist der Autor in dem Band zu den historischen Produktionsstätten, nach China, Dresden, Plymouth, berichtet von den fieberhaften Versuchen, das „weiße Gold“, das einst nur aus China importiert wurde, selbst herzustellen, zu verwerten, zur politischen Repräsentation zu nutzen.

Das Problem von „Die weiße Straße“ ist weniger der Inhalt als die Form: De Waal springt erratisch zwischen Perspektiven und Interessenschwerpunkten hin und her, und was sich in einem Moment wie eine gelehrsame Abhandlung über die Kulturgeschichte des Porzellans liest, mutet im nächsten Moment wie eine spontan mitgelesene Tagebuchaufzeichnung an – redundante Details inklusive. Der Aufbau lebendiger Persönlichkeiten, die ja das Werk „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ auszeichneten, gelingt da nicht.

Es hilft auch nicht, dass sich der Künstler stellenweise über minutiöse Details der Porzellanfertigung auslässt. Zwar scheint die Beseeltheit seines Tuns auch in seiner Sprache durch, und die Leidenschaftlichkeit, mit der Edmund de Waal sein Metier verfolgt, imponiert. Doch bloß, weil einer eine Leidenschaft besitzt, muss man sie nicht gleich teilen. Beim Porzellan macht es de Waal seinen Lesern nicht leicht.

INFO

Edmund de Waal: „Die weiße Straße – Auf den Spuren meiner Leidenschaft“.
Zsolnay Verlag. 464 Seiten. 26,80 Euro.

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