Stillleben für die Digitalgeneration: Das KHM experimentiert mit Pieter Claesz

Stillleben von Pieter Claesz mit Fisch, Brot, Nüssen und Getränken auf einem Tisch.
Drei Werke des holländischen Malers wurden für eine Kabinettschau in Wien und eine Sonderpräsentation in Linz neu aufbereitet.

Ein Gummibärli ist auf dem Bild auch bei eingehender Betrachtung nicht zu entdecken. Dafür ein Humpen voll Bier, ein aufgeschnittener Hering, eine Semmel und ein Weinglas, in dem sich das durch ein Fenster einfallende Licht zu spiegeln scheint. Geht man näher heran, scheint sich der Effekt in einem Wirbel von Pinselstrichen aufzulösen, abstrakt wie in einem Gemälde von Herbert Brandl.

Lange Zeit hing das Stillleben des holländischen Malers Pieter Claesz (1596/’97 -1660) im Esszimmer von Hans Riegel, dem 2013 verstorbenen Miteigentümer von Haribo und Sohn des Firmengründers. Die von ihm gegründete „Kaiserschild“-Stiftung überantwortete das Bild als Leihgabe ans Grazer Landesmuseum Joanneum, nun ist es Teil einer Sonderpräsentation im Kunsthistorischen Museum. Dort können alle, die wollen, auch bis ins hohe Abstraktionslevel in das Bild hineinzoomen: Ein hochauflösender Screen erlaubt das, die Stiftung fördert solche Digitalisierungsobjekte. Auch im „Deep Space“ des Ars Electronica Centers in Linz kann man sich derart buchstäblich in die Werke versenken (nächster Termin: 8. 7.). 

In den KHM-Galerien ist das Pult mit dem Screen noch ein wenig ungewohnt – scheute doch die bis 2024 amtierende Generaldirektorin Sabine Haag stets davor zurück, digitale Werkzeuge direkt mit Originalwerken zu konfrontieren. Nachfolger Jonathan Fine geht hier doch einen Schritt weiter, gelobt aber, die neuen Tools behutsam einzusetzen: Die Claesz-Schau sei ein „Testballon“, sagt er, das Digital-Pult und der begleitend projizierte Film sollten lediglich eine „Brücke bauen“, um sich mit der Bildsprache der Werke auseinanderzusetzen. 

In einem Museum hängen Stillleben von Pieter Claesz an einer gelben Wand.

Die mit Annotierungen versehene Aufbereitung ist zweifellos professionell gemacht - der Rezensent, der die Brücke zur Begeisterung für Altmeistergemälde schon vor längerer Zeit überschritten hat, geht dennoch lieber direkt auf die drei Bilder zu, die den ganzen Kosmos umreißen, in dem der Maler zu seiner Zeit eine Art Superstar war. Wie sein Zeitgenosse Frans Hals gehörte der in Berchem/Antwerpen geborene Claesz zu jenen, die nach der Teilung der Niederlande aus dem katholischen Süden in den protestantischen Norden übersiedelten – und dort Statussymbole für die florierende reiche Kaufmannsschicht schufen. 

Neben den verhältnismäßig reduzierten „Imbiss“-Stillleben malte Claesz auch noch opulentere gedeckte Tische sowie so genannte Vanitas-Stillleben, die mit Symbolen vollgepackt sind, die an die Endlichkeit erinnern. Die Schau gibt je ein Beispiel jeder Kategorie, nur aus letzterer -  Totenkopf, erloschene Kerze, Sanduhr – besitzt das KHM ein Exemplar: Die Habsburger hatten ihre Sammlung mehr auf flämische Malerei ausgerichtet, holländische Bestände kamen meist aus bürgerlichem Besitz relativ spät ans Museum wobei im vorliegenden Fall der Münchener Händler Julius Böhler das Bild 1937 aus Besitz des verstorbenen Kunstverlegers Theodor Ströfer erwarb und 1941 ans KHM weitergab; ein Verdacht auf Entziehung liegt hier, anders als beim vom KHM restituierten Porträt „Tieleman Roosterman“ von Frans Hals, nicht vor. 

Bis heute, sagt Kuratorin Sabine Pénot, befinde sich der Großteil von Claesz‘ Werken in Privatbesitz. Die Kooperation des KHM mit einer Privatstiftung - die 2026 auch vom Joanneum Graz und dem Kunstmusteum Winterthur/CH übernommen wird - ist damit auch ein Fenster in das Verhältnis von Museen und Mäzenen und deren Repräsentationsbedürfnis einst und jetzt. Eine bunte Version eines Claesz-Stilllebens wurde übrigens von Street Artists riesig auf den Vorplatz des Neuen Rathauses in Linz gemalt – als visueller Imbiss für die Gummibärli-Generation.

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