Malerei aus Sprühdosen
Katharina Grosse ist eine der international bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart, um die sich Museen auf der ganzen Welt reißen. Sie sprengt sowohl visuelle und konzeptionelle als auch räumliche Grenzen.
Die deutsche Spraykünstlerin kreiert mit Schutzmaske und aus einer Druckpistole geschossenen Farben XXX-Large-Formate, wobei sie gern den Raum als Aktionsfeld miteinbezieht.
Sie besprüht Stoffe, Asphalt, Sandstrände, Fassaden, ganze Häuser, Treppen und Möbelstücke. Auch bis zu zehn Meter breite Leinwände sind bei ihr nur Ausschnitte eines größeren Kontinuums. Denn ihr eigentliches Thema ist die Farbe selbst.
Immer der Farbe nach
Die 61-Jährige lässt sich von Bilderrahmen oder Wandflächen nicht eingrenzen, sondern fragt sich: „Wie kann ich ein Bild schaffen, das körperlich zugänglich ist?“
Für sie ist pure Farbe so wichtig, „weil sie sofort eine Resonanz erzeugt. Bevor du es bewusst merkst, reagierst du instinktiv darauf, wie wenn dich im Theater oder einem Konzert eine Stimme anrührt, bevor du die Worte oder den Liedtext verstehst.“ Zum Spray kam sie durch Zufall Mitte der 90er-Jahre, als sie in Marseille lebte: „Bei einem Freund konnte ich eine Airbrush-Pistole ausprobieren. Und der Anblick der kleinen über die Fläche verteilten Sprühpunkte ließ mich nicht mehr los.“
Aber was wild aussieht, ist stets penibel geplant und abgestimmt auf die spezifischen örtlichen Verhältnisse.
Die Inspiration für ihre Technik hat sie vom Fußball: „Das Zusammenspiel, Vorausahnung von Beobachtung, telepathisches Vertrauen, in Entfernungen denken, den Raum ausdehnen, ist dort am besten zu beobachten.“
Die Wucht der Farben
Dass die von der Albertina modern-Direktorin Angela Stief kuratierte Schau-Installation „Warum Drei Töne Kein Dreieck Bilden“ überhaupt eine Ausstellung ist, stellt Klaus Albrecht Schröder in Frage. Sie sei wohl mehr ein Ausdruck von „Kunst als Körpersprache“, sagt der Albertina-Direktor. „Man kann sich gegen die Wucht der Farben nicht wehren.“
Für Grosse ist die Pfeilerhalle zum „multidimensionalen Passepartout“ geworden. Sie begibt sich in Regionen der radikalen Freiheit des Expressionismus und der entfesselten Graffiti.
Denkmäler zu errichten, ist nicht die Intention der Künstlerin. Ihr geht es darum, das Leben zu intensivieren.
Mehr als die Hälfte ihrer Arbeiten sei temporär und verschwinde auch wieder sang- und klanglos. Grosse interessiert vor allem, „wie ein gemaltes Bild in unser Leben hineinwirken kann“. Wie Kunst für alle erlebbar wird. Im Hier und Jetzt.
Für sie braucht das gemalte Bild keinen spezifischen Ort. Es kann auf einem Körper stattfinden oder einer Ruine, einer Straßenlaterne, auf einem Felsen oder einem Stück Holz.
Ein lebendiges Bild
Im Gorki-Park in Moskau gab sie 2015 einem Kunsthaus den Abschied: Der überwiegend aus Pappe bestehende Garage Pavillon des Architekten Shigeru Ban wurde zur surrealen, postapokalyptischen Szenerie mit natürlichen Materialien wie Erde und Bäumen und Grosses durchdachter Farbharmonie.
Mit 800 m2 war „Yes No Why Later“ eine der größten Installationen, die es in der russischen Hauptstadt jemals gab. Riesig, wild, lebendig und eine Schule des Sehens im grauen Moskau, in dem das Zurschaustellen einer Regenbogenflagge bei Strafe verboten ist. Weder die Installation noch das Haus, in dem sie stattfand, existieren noch.
www.albertina.at
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