"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

Karin Bergmann – selten wurde die neue Intendanz vom Ensemble so euphorisch begrüßt
Jahrzehnte war die Deutsche im Schatten von Peymann & Co. Am Dienstag wurde sie zur ersten Burgtheater-Direktorin ernannt. Der imposante Weg vom Arbeiterkind im Ruhrpott zur Burg-Herrin.

KURIER: Frau Bergmann, bei Ihrer Pensionierung vor vier Jahren meinten Sie, Sie sind eine starke zweite Frau, aber keine Direktorin. Wann haben Sie sich entschieden, nicht nur Troubleshooterin zu sein, sondern die Burg bis 2019 führen zu wollen?

Karin Bergmann: Ach tatsächlich? Daran erinnere ich mich gar nicht. Nein, der Entschluss ist letztendlich in der Arbeit gereift. In den letzten Monaten gab es viele Notsituationen, in die ich ganz tief eintauchen musste. Da erkannte ich, dass ich die Dinge nicht nur reparieren, sondern auch so auf Schiene bringen kann, dass man wieder sinnvoll weiterfährt. Trotz der unpopulären Maßnahmen, die ich umsetzen musste, bekam ich so viel positives Feedback, dass ich einfach Blut geleckt habe. Da fasste ich den Entschluss, die Position nicht kampflos jemand anderem zu überlassen.

"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"
Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann. Die langjährige Mitarbeiterin des Burgtheaters war nach Entlassung von Direktor Matthias Hartmann am 19. März als erste Frau in der Geschichte des Hauses an die Spitze berufen worden.
Wann war der Zeitpunkt da, um die Burg zu kämpfen?

Als die Findungskommission an mich herantrat, war meine Prämisse, dass ich meine ersten beiden Premieren abwarten will. Als ich in Salzburg bei der Hauptprobe von Die letzten Tage der Menschheit stand, wusste ich, das Engagement von Regisseur Georg Schmiedleitner ist jetzt meine erste künstlerische Personalentscheidung, an der ich gemessen werde. Nach der Probe sagte ich zu mir: "Bergmann, egal, wie das Stück aufgenommen wird. Was du heute gesehen hast, ist so stark, dass du dahinter stehen kannst." Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich damit beschäftigt, ob ich mir die Direktion weitere Jahre zutraue. Denn eines ist klar: In der interimistischen Direktion hätte ich nichts falsch machen können. Die Situation war heikel, aber gleichzeitig war ich durch diese Sonderposition geschützt. Das ist nun anders.

Warum ist es für Frauen selbst in der Kultur so schwer, in Führungspositionen zu kommen?

In meinem Fall hat es sicher mit meiner Vita zu tun. Ich habe ja nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich aus einer einfachen Bergbau-Familie aus dem Ruhrpott stamme, wo es keine Bücher und keine Musik gab. Ich habe das Abitur im zweiten Bildungsweg gemacht, denn in meiner Familie herrschte die Meinung: Frauen heiraten und brauchen keine so gute Ausbildung.

Wie entfachte dann die Leidenschaft?

"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"
Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann. Die langjährige Mitarbeiterin des Burgtheaters war nach Entlassung von Direktor Matthias Hartmann am 19. März als erste Frau in der Geschichte des Hauses an die Spitze berufen worden.
Die ersten Theatererlebnisse hatte ich mit 13, 14 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Sie waren eine Offenbarung – da habe ich gemerkt, dass ich nicht alleine bin. Für mich war das Theater ein Überlebensmittel, man kann das gar nicht anders sagen. Meine Karriere habe ich mir Schritt für Schritt hart erarbeitet. Aber eines muss man auch sagen: Ich habe mit großen Theatermenschen zusammengearbeitet. Mich mit den Schuhen von Peymann zu messen – da habe ich mir schwer getan. Als mir Bachler die Chance gab, seine Stellvertreterin zu werden, habe ich mich gefragt: Wie wird das ankommen? Dieses typisch weibliche Hinterfragen ist zwar gut, weil wir sehr viel Selbstreflexion üben. Aber manchmal ist es auch ein wenig zu klein gedacht.

Sie waren die Schülerin von Peymann – und sind jetzt auf einer Augenhöhe mit ihm. Ein erhebendes Gefühl?

Ich war nie seine Schülerin, aber ich habe von ihm gelernt. Als er mich 1979 in Bochum als seine Mitarbeiterin engagierte, war es meine zweite Geburt. Ich wollte unbedingt zum Theater und viele Jahre dachte ich, es wird mir nicht gelingen. Peymann hat mir diese Unbedingtheit und diese Leidenschaft, die man für das Theater benötigt, mitgegeben. Nach sieben Jahren habe ich von Bochum nach Hamburg gewechselt. Wenn man Peymann verlässt, dann kommt es eigentlich nicht vor, dass er dich zurückholt. Er reagiert da gerne wie ein verschmähter Liebhaber. Als er nach Wien an die Burg ging, hat er mich angerufen. Das war eine glückliche Fügung. Ich muss aber sagen, das Handwerk, wie man Theater so führt, dass alle Abteilungen synergetisch zusammenarbeiten, habe ich von Klaus Bachler gelernt.

Bilder: Karin Bergmann im Porträt

"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

PG BURGTHEATER "BILANZ 2012/2013": BERGMANN
"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

PG BURGTHEATER "BILANZ 2012/2013": BERGMANN / KÖ
"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

PG BURGTHEATER "BILANZ 2012/2013": BERGMANN
"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

PK BURGTHEATER "SPIELPLAN 2014/2015":
"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

PK BURGTHEATER "SPIELPLAN 2014/2015":
"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

PK BURGTHEATER "SPIELPLAN 2014/2015": BERGMANN/KÖN
"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"

TRAUERFEIER FÜR GERT VOSS: BERGMANN

Sie leben nun seit 25 Jahren in Wien. Fühlen Sie sich schon als Wienerin?

"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"
Austrian Culture Minister Josef Ostermayer and designated director of Vienna's Burgtheater Karin Bergmann (R) address a news conference in Vienna October 14, 2014. Bergmann is the first female director in Burgtheater's history and signed a contract for five years. REUTERS/Leonhard Foeger (AUSTRIA).
Wien war am Anfang sehr exotisch für mich. Ursprünglich hatte ich einen Zweijahresvertrag, aber damals wäre ich auch schon nach einem Jahr gerne wieder weggegangen. Es war ein Fehler von Peymann, mit einer derart großen Piefke-Truppe nach Wien zu kommen. Ich war damals konsterniert, dass uns immer wieder suggeriert wurde, dass wir anderen einen Arbeitsplatz wegnehmen und dass die Besatzermentalität wieder da ist. Die Offenheit, mit der die Wiener das transportiert haben, hat mich ehrlich gesagt anfangs schockiert und auch traurig gemacht. Erst im zweiten Jahr habe ich Wiener kennengelernt, die auch anders sein können.

Also Liebe auf den zweiten Blick ...

Auf jeden Fall und ich möchte hier auch nicht mehr weggehen. Ich fühle mich zwar nicht als Wienerin, auch wenn mir immer wieder von meinen früheren Mitstreitern unterstellt wird, dass ich "verwienert" bin. Das empfinde ich mittlerweile als Kompliment. Die Österreicher sind die größeren Spieler als wir Deutschen. Und die Österreicher beherrschen auch besser Formen und Regeln. Egal, ob es sich um Höflichkeiten oder Schmäh handelt. Das macht zwar das Leben nicht weniger kompliziert, aber um vieles entspannter.

Legendär in der Peymann-Ära war das Skandal-Interview mit André Müller, wo er meinte: Das Burgtheater gehört von Christo verhüllt und abgerissen. Als Peymanns Pressesprecherin waren sie eine der Ersten, die das Interview zum Lesen bekam. Was war Ihre Reaktion?

"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"
Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann. Die langjährige Mitarbeiterin des Burgtheaters war nach Entlassung von Direktor Matthias Hartmann am 19. März als erste Frau in der Geschichte des Hauses an die Spitze berufen worden.
Rund um das Interview gibt es eine großartige Geschichte. Es wurde nicht von Peymann freigegeben, sondern von Thomas Bernhard. Ich bekam das Interview damals vom Spiegel mit dem Kommentar: Schauen Sie sich das Interview an, wir werden es nicht drucken, denn es ist eine Bombe. Ich war gleichermaßen fasziniert und erbleichte, als ich Peymanns Aussagen las. Ich fragte Peymann, was machen wir damit? Er antwortete: "Ich will es nicht lesen. Wir schicken es an Thomas Bernhard." Die Zeit hat es dann gedruckt. Peymann hat damals hoch gepokert und heute ist das fast schon in die Literatur eingegangen.

Um den Bogen zu spannen: Damals wollte das Ensemble den Direktor stürzen. Das hat nicht geklappt und war auch gut so. Denn Peymann war ganz wesentlich für die Burg. Er hat für mich das Licht in der Burg angeknipst. Damit meine ich, er brachte eine neue Ästhetik, er öffnete die Burg für die Jugend. Bei mir war es völlig andersrum. Ich wurde Direktorin, weil sich das Ensemble für mich eingesetzt hat.

"In den letzten Monaten habe ich Blut geleckt"
Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann. Die langjährige Mitarbeiterin des Burgtheaters war nach Entlassung von Direktor Matthias Hartmann am 19. März als erste Frau in der Geschichte des Hauses an die Spitze berufen worden.
Welche Überschrift wollen Sie Ihrer Intendanz geben?

Ich wünsche mir, dass es am Ende heißt: Karin Bergmann hat dem Burgtheater den Glanz zurückgegeben. Ich habe das Burgtheater in einer dunklen Phase übernommen. Ich möchte, dass das Haus wieder strahlt. Das Burgtheater muss ein Fels sein, auf den seine Besucher mit Stolz schauen können. Um diesen Stellenwert, den das Burgtheater für die Österreicher hat, werden wir beneidet. Das gibt es weder in Deutschland noch in der Schweiz. Das finde ich einfach fantastisch.

Sie haben keine Kinder. Bereuen Sie das?

Ich bereue es nicht. Denn ich habe hier eine sehr große Theaterfamilie. Mein Mann hat einen Sohn und da wir uns schon seit 27 Jahren kennen, sind wir alle eine Familie. Und mittlerweile gibt es da auch ein Enkelkind, das ich im Moment leider zu wenig sehe.

Der Falter titelte einmal ein Porträt über Sie "Die Frau mit den drei Elefanten" als Anspielung auf die großen Theaterdirektoren, mit denen Sie zusammengearbeitet haben. Wer hatte die schwierigste Persönlichkeit?

Der, mit dem ich am kürzesten zusammengearbeitet habe.

Also Matthias Hartmann. War er komplizierter als Peymann?

Wenn man in der Sache kompliziert ist, dafür habe ich großes Verständnis. Sonst allerdings nicht. Mit ihm ging es gar nicht. Ich bin jemand, der komplett für seine Dinge eintritt, aber ich kann mich nicht verstellen. Deswegen ging ich vor vier Jahren lieber.

Theaterfrau mit Leidenschaft
Ein Leben ohne Wien will sich Karin Bergmann nicht mehr vorstellen. Das hat mit ihrem Mann, dem Architekten Luigi Blau zu tun, mit dem sie seit 27 Jahren zusammen ist. Sie begann ihre Laufbahn 1979 als Direktions- assistentin am Schauspielhaus Bochum unter Claus Peymann. 1986 kam sie nach Wien. 1993 holte sie Rudi Klausnitzer als Direktionsmitglied an die Vereinigte Bühnen Wien, bis sie 1996 zu Klaus Bachler an die Volksoper wechselte.1999 wird Bergmann Klaus Bachlers stellvertretende Direktorin. Im letzten Jahr seiner Direktion leitete Bergmann bis zum Übergang zu Matthias Hartmann das Burgtheater de facto alleine, da Bachler die Bayerische Staatsoper übernommen hatte. Sie blieb bis zur Spielzeit 2009/2010. Im Frühjahr 2014 feierte sie nach dem Skandal ihr Comeback.

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