Fliegen ist jetzt auch keine Option.
Ich fliege sowieso nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Denn ich kenne mich gern aus. Ich lebe gern in überschaubaren Wenn-Dann-Konfigurationen. Und wenn ich um 29 Euro nach Zürich fliegen kann, und jemand neben mir zahlt 57 Euro und vorne einer 250 Euro, dann denke ich mir: Da stimmt etwas nicht. Das ist mir unbehaglich.
Überhaupt jammern derzeit alle. Und mir scheint, die Wirtschaft am lautesten.
Mir kommt Wirtschaft insgesamt vor wie: Es sitzen 20 Leute in einem Rettungsboot, und einer reißt eine Planke aus dem Rumpf für den Fall, dass das Boot leck schlägt, und er etwas zum Anhalten hat. Und du bist gut beraten, der zweite zu sein, der sich eine Planke kletzelt. Denn das Boot ist schon leck. Es wäre schön, würde die Wirtschaft einmal draufkommen: Wenn keiner Geld hat, stockt die Wirtschaft.
Im letzten Programm „Zwischen Ist und Soll“ ging es ums „Menschsein halt“. „So und anders“ verspricht „eine abendfüllende Abschweifung“. Was konkret?
Ich schweife schon ab, aber ich verlasse den Kontinent nicht, auf dem ich mich gedanklich bewege. Das neue Programm beschäftigt sich etwa mit Fragen: Wie gehen wir mit Mitteilungen über die Welt um? Wieso ist der Bericht wichtiger als das Berichtete? Es geht auch ums Denken: Was da passiert, und wo die Probleme liegen. Es geht um Sprache, die, finde ich, überschätzt wird. Und dass die Sprache wichtiger genommen wird als das, worüber sie spricht. Ich glaube, dass Sprache überschätzt wird in dem, was sie zu leisten imstande ist.
Wie bitte?
Das Wort oder ein Begriff allein ist noch gar nichts, das ist nur eine Schanze für mögliche Missverständnisse. Die Sprache beschreibt Dinge, aber die Dinge sind vor ihrer Beschreibung.
Und Donald Trump kann lügen, lügen, lügen und behaupten, was er will.
Das ist ein Problem: Dass die Wucht des Vortrags offenbar immer wichtiger wird. Als soziopsychologisches Laborexperiment ist Trump ergiebig aber furchtbar. Dass der einfach mit dem Gestus durchkommt und Erfolg hat. Obwohl ihm durch die Corona-Krise die wirkliche Welt ins Gehege rumpelt. Sonst konnte er alles behaupten, und die Leute haben es geglaubt. Aber das Virus und die Auswirkungen sind nicht wegzubehaupten.
Und Wahnsinn ist ...
... dass der Mensch hinter die Wirtschaft zurückgestellt wird als Argument. Wenn ein Lockdown Menschen rettet, aber die Wirtschaft beschädigt und ein Offenlassen Menschen tötet, aber die Wirtschaft befördert, wird letzteres gemacht werden. Und das ist nicht gut.
Mit Corona erlebt Streaming einen Boom. Nützen Sie YouTube?
Ja. Was ich mir zuführe an Information, ist meist YouTube. Da höre ich mir den amerikanischen Stand-up-Comedian Jo Rogan an und spiele dabei Majong. Überraschend ist, wie wenig man auch im Fernsehen sehen muss, um einer Handlung folgen zu können. Aber „Criminal Intent“ auf VOX schaue ich mir gern an.
Was interessiert Sie sonst?
Leute, die etwas machen: Metallarbeiter, die eine Werkstatt haben mit Drehbank und Fräse. Wie genau die arbeiten und etwas gestalten, fasziniert mich. Es gibt sicher tausend Idiotenkanäle auf YouTube, aber auch viel Wissenswertes. Wunderbar, wenn der Neurowissenschaftler Sam Harris und der Psychologe Jordan Peterson auf der Bühne diskutieren. Menschen, die etwas ernst nehmen, die sich etwas überlegt haben, etwas wissen, über weite Strecken einer Meinung sind, in einem Punkt aber nicht. Und den arbeiten sie aus. Sauber und seriös.
Richard David Precht ...
Den schätze ich sehr. Er ist einer der Philosophen, die Naturwissenschaft ernst nehmen – nicht als Gegner, sondern als Weltbeschreibung, die einmal gültig ist, um dann zu schauen, was man mit dem macht, was man herausgefunden hat. Ich habe im Auto für unterwegs von Precht „Geschichte der Philosophie“ als Hörbuch. Das ist auf Autobahnen großartig.
Wie erklären Sie sich als rational denkender Mensch, dass erstaunlich viele Menschen auf Verschwörungstheorien reinfallen?
Ich schreibe für die Science Busters „Die Sache mit ohne Gott“. Die Idee, die man als naturwissenschaftlich denkender Mensch hat, ist: Der Mensch will sich auskennen. Der Mensch will Orientierung. Und der Mensch hat, muss man befürchten, in sich eine Sehnsucht nach Mythen. Und wenn man ihm Gott wegnimmt als Großerzählung, wächst in dieser Leerstelle etwas nach, das genau diese Eigenschaften hat – eine Erzählung mit nicht beweisbaren Zusatzannahmen ...
... was man nur glauben kann.
Glauben ist etwas anderes als eine Annahme, bei der eine Widerlegung zur Kenntnis genommen wird. So ist das Gegenteil von Wissen nicht Nicht-Wissen, sondern Glauben. Denn Nicht-Wissen ist der erste Schritt, sich neues Wissen anzueignen. Und Glauben ist der letzte Schritt, sich neuem Wissen zu verweigern.
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