Julian Barnes: Requiem für die verlorene Liebe

Julian Barnes: Requiem für die verlorene Liebe
Es kann immer nur eine einzige Liebesgeschichte geben, die es wert ist, erzählt zu werden. Sagt der Brite.

Es wäre nicht notwendig gewesen, dass Julian Barnes (Foto oben) bzw. der Erzähler seines neuen Romans die Leser direkt anspricht.
„Und Sie müssen sich“, sagt er zum Beispiel, „Zeiten voller Glück und Lachen vorstellen.“
Das hängt ganz vom Buch ab, ob’s gelingen kann.
Oder: „Sie könnten fragen, wie viel ich von der Liebe verstand.“

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Nein! Man will nicht angequatscht werden. Sondern sich gerade bei diesem Thema verstecken. Lesen und nachdenken über die Liebe. Und Sätze aufschreiben und durchstreichen und wieder aufschreiben – man ist  so unsicher, etwa beim Satz:
„Es ist besser, die Liebe erfahren und verloren zu haben, als nie geliebt zu haben.“
Ist es besser?
Kann man sich’s denn aussuchen?
„Die einzige Geschichte“ ist nicht Julian Barnes' bestes Buch. Im dritten und letzten Teil hat man gar das Gefühl, er will nicht aufhören. Der Roman flockt aus.
Aber größtenteils ist seine Trostlosigkeit ... großartig.
Er fängt mit der Feststellung an: Jede(r) hat eine Liebesgeschichte. Kann durchaus sein, dass nichts aus der Liebe wurde oder dass sie nur in der Fantasie stattfand.
Aber er/sie hat eine Geschichte, und nur die ist es wert, erzählt zu werden.
Der alte Paul erinnert sich, als er 19 war. Die erste Liebe bestimmt das Leben. Im Tennisklub lernte er Susan kennen. Susan war 20 Jahre älter, verheiratet, hatte zwei  Töchter in Pauls Alter und war trotzdem unerfahren wie ihr Liebhaber.
Daraus wurde keine Affäre. Das war die Liebe. Susan verließ ihren Mann, den ohnehin nur Golf interessierte. Aber er schlug ihr zum Abschied die Vorderzähne aus.
Mehr als ein Jahrzehnt wohnte Susan mit Paul zusammen. Es war nicht mehr so schön. Denn während Paul sein Jusstudium vorantrieb, wurde Susan alkoholkrank und bald auch dement. Sie erkannte Paul nicht mehr. Er blieb trotzdem bei ihr, jahrelang.
Julian Barnes mutet  viel Traurigkeit zu, bevor er Paul aus der Verbindung entlässt – und man selbst ebenfalls durchschnaufen kann.
Wobei damit Paul an seinem Ende angelangt ist, mit  35. Denn es gab keinen sicheren Ort mehr für ihn, es ging nur noch darum, sich irgendwie die Zeit zu vertreiben. Nach Susan kam nichts mehr von Bedeutung.
Er bereute nichts.
Und man überlegt wie Paul, einen einzigen Satz aufzuschreiben den man nie durchstreichen wird:
 Dass die Liebe eine Katastrophe ist, sobald man sich ihr voll und ganz hingibt.


Julian Barnes:
„Die einzige
Geschichte“
Übersetzt von
Gertraude
Krueger.
Kiepenheuer
& Witsch Verlag.
304 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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