"Mutter ließ mich sein und leben"
Man könne wieder nach Kärnten kommen, sagt der Schriftsteller Josef Winkler. Die Stimmung sei nicht besorgniserregend, eher gut. „Verzaubern werden die Neuen das Land nicht, die Kassen sind leer, die Räuber hatten 15 Jahre Zeit dafür.“
Seit ein paar Monaten – vorher sei ihm das nicht so eingefallen – stelle er sich eine Frage.
Winkler hat Kärnten nämlich nie als besondere Spezialität empfunden.
Wie es wohl den Tirolern ergangen wäre mit einem Haider über fast zwei Jahrzehnte? Den Salzburgern? Den Ober- und Niederösterreichern ..?
Anlass für das KURIER-Gespräch ist das neue Buch des Büchner-Preisträgers (plus Österreichischer Staatspreis) aus dem kreuzförmig gebauten Kärntner Dorf Kamering.
Ein erschreckendes, schonungsloses, tief berührendes Requiem für die Mutter, „Mutter und der Bleistift“.
Auf dem Begräbnis der 87-Jährigen war Josef Winkler. Er ließ ihr eine Flasche Weihwasser in den Sarg legen. Sie hatte es gern getrunken. Es war ihr lieber gewesen als die Psychopharmaka des „Nervendoktors“ in Spittal an der Drau.
Über die stille Mutter hatte Winkler bisher wenig geschrieben.
In sechs, sieben Büchern steht sein Vater im Mittelpunkt. Ein prügelnder familiärer Schrecken, der dem Sohn verboten hatte, Romane zu lesen. Gehasst und doch geliebt, irgendwie. Mit 95 kaufte er noch einen Traktor, mit 99 starb er.
Unruhe
Zu seiner Beerdigung war der Sohn nicht gekommen, er führte Vaters letzten Befehl aus, indem er von seiner Reise nach Tokio nicht rechtzeitig zurückkehrte: „Wenn ich nicht mehr bin, dann möchte ich nicht, dass du zu meinem Begräbnis kommst.“
Zum endgültigen Bruch war es gekommen, als Winkler auf die Katastrophen seiner katholischen Dorfkindheit mit Literatur reagierte. Als er jene Dinge aussprach, von denen der Pfarrer immer gemeint hatte, dass man sie nicht sagen dürfe.
Als man – auch in Kamering – plötzlich lesen konnte, wie er Unruhe stiftete: Die Kärntner haben den Kropf voller Hostien, weil sie so katholisch sind, dass sie die Hostien nicht im schmutzigen Darm haben wollen ...
Sieht der heute 60-jährige seinen Vater mittlerweile etwas milder ?
Er habe heute mit ihm „keine großen Probleme mehr im Herzen und in der Seele“. Deshalb habe ihn wohl im neuen Buch „nicht mehr mein Zorn streifen können. Der Blitzableiter hat offenbar auch keine Sehnsucht mehr nach dieser Art von Blitzen.“
Und Mutter?
„Mutter ließ mich sein und leben.“
Spiegel
Maria Winkler redete nicht viel. Was Josef Winkler jetzt über ihr Leben erzählt, habe er ihr zumeist „abgelauscht“ und seit Jugendtagen zusammengetragen.
Es kam ihm in den Sinn, während er in Indien Handkes „Wunschloses Unglück“ las, und auch bei Ilse Aichingers „Kleist, Moos, Fasane“ fiel ihm alles ein – und zwar an jener Stelle:
„In der Kindheit hat es auch schon Spiegel gegeben, aber in größerer Entfernung. Allmählich kommen wir uns näher, es bleibt nur wenig Raum mehr zu uns, bis wir uns ganz nahe sind. Der nächste Schritt heißt: den Spiegel mit der Faust zertrümmern, bluten, sich zerschneiden. Oder wir bleiben stehen.“
Da wollte Josef Winkler lieber wieder einmal bluten.
Sich erinnern an die „Nussbaumbetten, über denen Raffaels Madonna sulla Seggiola hing“; an den Gemüsegarten bei der Friedhofsmauer, auf den gierig die Toten herüber starrten; an Mutters Dazwischengehen, als ihm, dem rebellischen, bleichen Bauernsohn mit den tiefen Augenringen, der Vater auf die Nase schlug ...
Sie sagte: „Mitzele! Der Adam kommt auch heim, aber anders.“
Nicht lebend also, sondern als Leiche.
So redete man – es ist ja auch niemand getötet worden, sondern nur „gefallen“ –, und da kann man schon in Schweigen verfallen.
KURIER-Wertung: ***** von *****
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