Der Tod ist gar nichts

schriftsteller josef winkler
Im Jugendwerk schob der Kärntner Josef Winkler Zeile für Zeile seinen Selbstmord hinaus.

Wäre nicht die Schneeflocke, die mit Schirm spazieren geht– der „Wortschatz der Nacht“ wäre kaum zu ertragen.

Die Schneeflocke ist der einzige Dur-Klang in dieser Todesfantasie.

Nein, stimmt nicht.

War voreilig.

Die Schneeflocke geht nämlich auf einem Friedhof spazieren. Alles Moll. Alles schrecklich.

Auf jeder Seite spürt man: Hier schrieb einer um sein Leben. Hier stirbt einer (und wieder und noch einmal), um bleiben zu können, wenigstens bis zum letzten Wort, und dann schauen wir weiter. Hier ist die Literatur existenziell.

26 war der Kärntner Bauernsohn, als er in vier Nächten den Text aufs Papier brachte. 1979 in der Zeitschrift „manuskripte“ abgedruckt, ist er jetzt – zum 60. Geburtstag im März – erstmals Buch geworden.

Josef Winkler wurde mittlerweile der Große Österreichische Staatspreis verliehen (2007), und 2008 bekam er den Büchner-Preis, die wichtigste Auszeichnung für einen deutschsprachigen Schriftsteller.

Aber nie wieder war er derart spontan, explosiv – und vielleicht auch nie mehr derart verzweifelt.

Was kümmerte ihn, dass sich Leser diesem Schwall ungern aussetzen?

Er wollte leben, indem er vom Sterben sang: „... nein, kein Wort der Widerrede, da hilft kein Betteln und kein Zagen, da hilft nur Sterben.“

Ja, singen musste sein Werk über den Freund, der sich erhängt hat, über den hingerichteten Kindermörder Ranucci, über den Gekreuzigten ...

Und über den Autor selbst, der eine Totenmaske auf der Brust trägt und sich vorstellt, wie er vor dem eigenen Sarg steht.

Der Tod ist gar nichts
KURIER: Überlebt leichter, wer sich ständig mit dem Tod auseinander setzt?
Josef Winkler:Ich habe von meinem 16 bis 26 Lebensjahr unendlich viel gelesen, vor allem viele Bücher, wo auch vom Tod die Rede war. Manchmal, erinnere ich mich, habe ich regelrecht in einem Buch geraschelt und das Wort „Tod“ gesucht. Es war auch die Zeit, wo ich täglich an den Selbstmord gedacht habe. Ich musste, um es etwas pathetisch auszudrücken, die Texte schreiben, um meinen Selbstmord Zeile für Zeile aufschieben zu können. Später, als es wieder aufwärts oder auch abwärts gegangen ist – wir wissen es nicht –, habe ich geschrieben: „Plötzlich deprimiert, weil ich seit einiger Zeit keine Selbstmordgedanken mehr habe.“

Ja, ist denn der Tod keine Schweinerei?
Der von mir verehrte Italo Svevo hat, als er auf dem Totenbett lag, seine Kinder zusammengerufen, seine Hände ausgebreitet und gesagt: „Der Tod ist gar nichts! Kinder! Schaut, wie man stirbt!“

„Wortschatz der Nacht“ liest sich, als wäre der Text in einem Anfall geschrieben worden. Steigern Sie sich immer noch in einen Rausch?
Heute kämpfe ich beim Schreiben nicht mehr ums tägliche Überleben. Ich kann es, mit allen Schwächen und Stärken, und suche wie Peter Handke das außerirdische Alphabet. Ich gehe nicht mehr mit dem Kopf durch die Schreibwand. Auch heute gelingen mir dann und wann Wortanfälle, rauschhaft geschriebene Passagen. Es ist vielleicht auch alles sprachlich abgesicherter als früher, lackierter, glatter, das mag schon sein. Ich muss hinterher das Gefühl haben, etwas getan zu haben, das zumindest für mich nicht sinnlos war.

KURIER-Wertung: **** von *****

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