Jonathan Lethem über eine Welt ohne Leonard Cohen

Jonathan Lethem über eine Welt ohne Leonard Cohen
"Der wilde Detektiv" ermittelt bei den amerikanischen „Kaninchen“ und „Bären“, die sich vor dem Kapitalismus verkriechen.

Ist das so ein Detektiv  wie Sam Spade bzw. Humphrey Bogart am Beginn von Hollywoods „Schwarzer Serie“?
Ähnlich cool ist Charlie Heist . Aber er hat ein krankes Opossum in der Schreibtischlade, das er  mit ungesalzenem Reis füttert, während Klienten bei ihm sitzen.
Es kann auch passieren, dass sich plötzlich ein Kasten   öffnet, ein Kasten mit Pritsche,  und ein Mädchen herausfällt, das sich da drinnen versteckt. Charlie Heist schützt sie vor Verfolgern. Später wird man verstehen, warum.
Zu Bogart würde das alles nicht so gut passen.
Klienten, die in dieses seltsame Büro kommen,  hat Charlie nicht  viele. Er kümmert sich  gratis um jene, die in Kanalrohren leben.
„Der wilde Detektiv“ ist keine Liebe auf den ersten Blick. Es ist, als hätte der Amerikaner Jonathan Lethem (Foto oben) Barrieren am Anfang eingebaut, damit diejenigen, die sich mit einem Krimi begnügen wollen, das Buch mit spitzen Fingern weglegen.

Fraktales

Erste Barriere: Detektiv Charlie Heist spielt Geologe und doziert über einen „alluvialen Fächer“ im Berg.
Zweite Barriere: Phoebe Siegler – wir kommen gleich zu ihr – zeigt, dass sie ebenfalls gebildet ist und schaut sich die „fraktalen Wirbel“ der Nasenlöcher von Charlie Heist an ...
Aber danach taucht eine neue Welt auf, mit Trump und ohne Leonard Cohen, der kurz vor der US-Wahl in Los Angeles gestorben ist.
Eine Welt ohne  Cohen ist „kaputt“, schreibt Jonathan Lethem auf Seite 225. Ist völlig nachvollziehbar. Danach zeigt er uns Kaputtes.
Nach seinen hochgelobten  Romanen über New York zieht er  in den Süden Kaliforniens, an den Rand der Wüste. Lethem spielt mit Jonathan Franzen und Richard Powers in einer Liga.
Jetzt zum Inhalt (aber nur kurz): Die New York Times-Journalistin Phoebe Siegler kündigt, sie fühlt sich mitschuldig an Trumps Sieg.
Jetzt hat sie Zeit für G’scheiteres und steht ihrer Freundin bei, deren  Tochter von der Uni abgängig ist. Arabella verehrte Leonard Cohen – ist sie auf dem Mount Baldy im buddhistischen Kloster, wo der Musiker Sinn suchte?
Ist sie nur fast. Phoebe Siegler engagiert einen Helfer, eben Charlie Heist mit dem leider bald toten Opossum namens Jean, und gemeinsam geht der Weg zu „Kaninchen“ und „Bären“ – zu alten und neuen Hippies: zu lieben Menschen, die Kakteenkuchen anbieten. Und zu gewalttätigen. Alle haben sich vor dem Kapitalismus der Städte  verkrochen.
Phoebe ist die Erzählerin. Lieblingssatz, direkt an die Leser gerichtet: „Jemand dagegen, wenn ich die Verfolgungsjagd auslasse?“


Jonathan
Lethem: „Der
wilde Detektiv“
Übersetzt von
Ulrich
Blumenbach.
Tropen Verlag.
335 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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