Verliebt in Taube, Möwe, Rotkehlchen

Gegen die Wut im Bauch: Jonathan Franzen wird heuer 54.
21 Essays finden sich in Jonathan Franzens "Weiter weg".

Jonathan Franzen reagiert grantig, wenn jemand nicht einmal vor der Supermarktkasse Ruhe geben kann, sondern telefoniert und noch dazu „Ich liebe dich!“ ins Handy schreit anstatt endlich den Bankomatcode einzugeben (weil 1,95 Dollar hat ja heutzutage niemand mehr im Taschl)...

Darüber hat der Amerikaner – weltberühmt seit „Die Korrekturen“(2001) – eines der eher uninteressanten von insgesamt 21 Essays in „Weiter weg“ geschrieben.

Grantig sind wir selber.

Und dass er ein Hornissennest verbrennen wollte, bringt uns auch nicht wirklich weiter.

Aber der Rest ... die Insel, die Vögel, die Literatur, sein Freund David Foster Wallace: beeindruckend, nachhaltig (wie man so sagt).

In seinen Überlegungen, die dem Band den Titel geben, haben wir alles vereint:

Franzen, der abwechselnd in New York und Kalifornien lebt, musste sich nach „Freiheit“ (2010) aufladen – im Südpazifik suchte er sich jene unbewohnte Insel aus, die Vorbild für Defoes „Robinson Crusoe“ war.

Nicht viel mehr als diesen Roman hatte er im Gebäck.

Vögel wollte er beobachten. Er liebt Vögel. Die Leidenschaft hat ihn selbst überrascht. Egal, ob Taube, Rotkehlchen, Mönchsgrasmücken: Sein Herz fließt über.

(Aber mit der Liebe fangen die Problem an: In anderen Essays erzählt Jonathan Franzen, wie er auf Zypern und Malta Singvögel von den Leimruten befreite und vor den Jägern flüchten musste.)

Fertig mit Inseln

Verliebt in Taube, Möwe, Rotkehlchen
Und Asche nahm er auf die Insel mit. Eine kleine Schachtel mit Asche von Foster Wallace („Unendlicher Spaß“), der lebenslang auf seiner eigenen Insel gefangen gewesen war, der sein Antidepressivum nach 20 Jahren abgesetzt und sich 2008 umgebracht hatte.

Franzen schleuderte sie in den Wind.

Danach war er leer „und auch fertig mit Inseln.“

„Weiter weg“ funktioniert auch als sanfte Aufforderung, nicht mit seinem Schmerz und seiner Wut und seinem Spott daheim zu bleiben. Sondern hinaus zu gehen und sich in – mitunter gefahrvolle – Beziehung zu Mensch und Tier zu begeben.

Dann geht man auch ein Stück von sich selbst weiter weg; und vielleicht lässt sich dadurch die Wurzel unserer Verzweiflung leichter ertragen: dass wir sterblich sind.

KURIER-Wertung: **** von *****

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