John Irving: Lieber Viagra als Betablocker

John Irving
Seinem 14. Roman verfällt man spätestens, wenn der Held in delikater Situation übers Schwimmen redet.

Auf der "Straße der Wunder" humpeln wir durchs Leben, wir selbst sind die Wunder, zumindest sind wir ein Teil davon.

Das hat Juan Diego begriffen. Er will, dass ihn seine Vergangenheit, die auf einer Mülldeponie begonnen hat, umgibt wie Gesichter.

Deshalb ist er grantig. Denn die Betablocker, die ihm seine Ärztin verschrieben hat, blockieren die Erinnerungen ans Wundersame.

Das ist viel schlimmer als das bissl Impotenz, an dem die Tabletten ebenfalls schuld sind.

Juan Diego wird deshalb während dieses Romans – es ist John Irvings 14. Buch und eines seiner besten – selten Betablocker nehmen.

Zu seiner eigenen Überraschung wird der 54-Jährige, dem man gut 64 gibt, oft Viagra schlucken. 100 mg. Höchste Dosis.

Juan Diego ist ein bekannter amerikanischer Schriftsteller. Das kommt bei John Irving öfter vor (in "Garp", "Witwe für ein Jahr" ...) Bei Juan Diego weiß man, dass er Eindrucksvolles geschrieben hat – z.B. über einen Mann, der vergessen hat, sein Kondom runterzunehmen und pinkeln geht ...

Keine Bratpfanne

"Straße der Wunder" ist nicht die Liebe auf den ersten Blick.

John Irving hat es nicht auf eine sofortige Gefangennahme abgesehen – wie etwa in "Letzte Nacht in Twisted River", als eine 140 Kilo schwere Indianerin sogleich mit einem Bären verwechselt und mit einer Bratpfanne erschlagen wird.

Warum sekkiert er uns hier anfangs mit Unserer Lieben Frau von Guadalupe und anderen Madonnen?

Aber es wird mit seiner "Straße der Wunder" eine festere Beziehung. Anhaltender. Man verfällt dem Roman spätestens, wenn eine seltsame Mutter und deren seltsame Tochter abwechselnd Juan Diegos Penis in Händen haltend und er (der eigentlich schlafen und träumen und sich erinnern will) den so treffenden Satz sagt:

"Ich habe in Iowa schwimmen gelernt."

Es gibt exzellenten Sex im Buch. Ist aber durchaus möglich, dass die beiden Frauen, die sich als Fans des Schriftstellers ausgeben, nur Geister sind. Vielleicht sogar Todesengel.

Was nichts von ihren Leistungen schmälert.

Es gibt viel Religion. Dazu gehört auch der Saft von Roten Rüben, der auf Touristen gespritzt wird.

Manche von ihnen glauben dann hocherfreut, Gott im Himmel hätte ihnen spontane Blutungen geschenkt.

Bücher retten

Juan Diego ist ein "Müllkippenkind". Er wuchs auf einer Deponie im mexikanischen Oaxaca auf, wo sein rechter Fuß von einem Auto zerquetscht worden war. Er rettete Bücher, die weggeworfen wurden, vor dem Verbrennen und lernte lesen, auch englisch. Seine Mutter war eine Prostituierte, die Tripper im Rachen hatte. Seine Schwester Lupe konnte Gedanken lesen, selbst jene von Löwinnen ... Soll man denn noch etwas verraten?

Vielleicht, dass es diesmal zwar keine Bären und keine Ringer gibt, aber eine Transsexuelle wie Roberta in "Garp" und wie Miss Frost in "In einer Person".

Sie heißt Flor und geht auf den Strich, und zwischen ihr und einem Jesuitenpater wird es die große Liebe.

Selbstverständlich sind sie in der Lage, ein Kind aufzuziehen! Das sehen sogar Katholiken ein; bei Irving.

Mehrmals wird angemerkt: Frauen sind die wahren Leser. Frauen lassen sich von Gefühlen anstecken. Ohne Frauen würde es heute keine Romane mehr geben.

Stimmt leider.

Soll sich das denn nie ändern? John Irving wäre Männern hilfreich.

John Irving:
„Straße der Wunder“
Übersetzt von Hans M. Herzog.
Diogenes Verlag.
736 Seiten.
26,80 Euro.

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