Von der Kapitulation, die vielleicht frei macht

schriftsteller johannes gelich - honorarfrei
Wir sind die Lebenden. Ein Roman der Zerrissenheit.

Einerseits bekommt man während „Wir sind die Lebenden“ selbst große Lust, im Bett zu bleiben, wochenlang, eigentlich immer, und „Ich will nix!“ zu schreien, falls sich jemand nähert ...

(Es werden im Herbst mehrere Bücher erscheinen, die uns das „Zeitalter der Erschöpfung“ vorführen bzw. betonen, wie wichtig es ist, nichts zu tun: Nur so könne man einen direkten Draht zum Glück herstellen.)

Andererseits murmelt man angesichts Johannes Gelichs fauler, träumender, schrecklich grantiger, äußerst liebenswerter Romangestalt „Muki“ Lakoter ständig vor sich hin:

Das gehe nicht, dass man Ommmm und Aummmm singt, anstatt zu lüften.

Beruf ist Krieg

Gelich – ein gebürtiger Salzburger, der in Wien lebt – beschreibt diese Zerrissenheit (von Muki, von ihm selbst, von vielen) so witzig und traurig und flott, dass man befürchtet, das hält er nie bis zum Schluss durch.

Tut er aber; notfalls etwas grob karikierend.

Er hat einen sehr österreichischen Verwandten des russischen Romanhelden Oblomow erschaffen, der sich nach dem Fukushima-Unglück legitimiert fühlt, pessimistisch zu sein und sich sich zu verweigern:

Beruf ist Krieg. In der Kapitulation vor dem Leben ist die Freiheit.

Redet er sich ein.

Von der Kapitulation, die vielleicht frei macht
Muki hat ein Zinshaus in Baden bei Wien geerbt. Seine Schwester, eine unangenehm dynamische Juristin, will ihn teilentmündigen lassen, weil er es verfallen lässt.

Da beauftragt er einen Freund, in Baden nach dem Rechten zu sehen. Der Freund hat einen Nachteil: Er ist sexsüchtig; und in dem Haus haben zwei Prostituierte ihren Arbeitsplatz ... also geht nicht viel weiter.

Man sieht: Der Roman ist nicht faul, da ist was los, er lebt und breitet sich in den Köpfen aus – so klein kann der Raum, in dem sich der Autor bewegt, gar nicht sein.

Wenn sich Muki in seine rumänische Putzfrau verliebt, verlässt er seinen Bunker. Vergisst sogar auf die Jodtabletten. Zweifelt nicht mehr nur an der idiotischen Welt, sondern an sich.

Man kann so oder so zugrundegehen. Aber man geht zugrunde.

KURIER-Wertung: **** von *****

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