Jetzt wird man David Vogel nicht vergessen
Auf David Vogel richtete sich die Aufmerksamkeit, 70 Jahre nach seiner Ermordung in Auschwitz, als "Eine Wiener Romanze" entdeckt wurde.
Ein Jugendwerk, Delikates vor dem Ersten Weltkrieg, harte Militärs genehmigten sich ein Likörchen, Prostituierte trugen schöne Hüte ... ein Zeitfenster ging auf. Nabokovs "Lolita" wurde vorweggenommen, Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" hatten einen Vorläufer gefunden.
Angeblich lagen die 15 Manuskriptseiten im Hof einer Pension in Südfrankreich vergraben. Eng beschrieben, sodass die Buchstaben wie Flecken ausschauten.
David Vogel war 1912 aus der heutigen Ukraine nach Wien gekommen, er hungerte, er arbeitete als Lastenträger. In der Kleinstadt Hauteville war sein letzter Aufenthaltsort, ehe ihn die Gestapo verhaftete. Der Fund der "Wiener Romanze" brauchte bis 2016, um in Israel gänzlich entziffert zu werden.
Nach dem posthumen Erfolg legt der Berliner Aufbau Verlag "Eine Ehe in Wien" vor. Beziehungsweise neu auf. Denn das ist ein bekannter, aber in Vergessenheit geratener Roman Vogels, der jetzt mehr Chancen hat, sein Publikum zu finden.
Häschen
Maxim Biller, der Kritiker, der kürzlich das "Literarische Quartett" verließ, schreibt im Nachwort: "‚Eine Ehe in Wien‘ zählt zu den sechs, sieben besten Büchern, die mir je untergekommen sind."
Ihm sind viele Bücher untergekommen.
Schade, dass man nie erfahren wird, ob Vogel nur eine Sadomaso-Geschichte erzählen wollte. Oder eine prophetische Geschichte, in der Terror vorgeführt wird.
Rudolf Gordweil kam aus dem ostjüdischen Schtetl nach Wien. Frei wollte er sein, Schriftsteller wollte er werden – die unattraktive teutsche Baronin Thea von Tako nimmt sich seiner an: Er wird geheiratet.
"Sie hob ihn wie leichtes Spielzeug vom Boden auf und legte ihn aufs Bett."
Vorher biss sie ihn blutig.
Ihre "scharfe, quälende, bestürzende Erotik" hält Rudolf – genannt "Häschen", wenn er der Baronin brav Butterbrote streicht – zu lange gefangen. Das Baby ist nicht von ihm, weil er sich zärtlich ums Kind kümmert, wird er verspottet ...
Man wird David Vogel nicht mehr vergessen können.
David Vogel:
„Eine Ehe in Wien“
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.
Aufbau Verlag.
527 Seiten.
25,70 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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