Jessica Schwarz: "Ich genieße die Abwechslung"
Bei großer Sommerhitze gab
Jessica Schwarz am Mittwoch Interviews zu ihrem neuen Film "Das Lied in mir", der am Abend im Votivkino die von KURIER.at präsentierte Österreich-Premiere feierte. Wir trafen die deutsche Schauspielerin ("
Romy", "Das Parfüm") auf einer schattigen Terrasse über den Dächern Wiens zum Interview. Auch wenn es an die 40 Grad hat, würde ihr das nichts ausmachen. Von ihren Dreharbeiten zu "Das Lied in mir" in Buenos Aires ist Jessica Schwarz einiges gewöhnt: "Ich kann mit Hitze gut umgehen."
In dem Drama des Regiedebütanten Florian Cossen, das am Freitag im Kino startet, verkörpert die 34-Jährige die deutsche Schwimmerin Maria, die durch das Wiedererkennen eines spanischen Kinderlieds herausfindet, dass ihr Vater (Michael Gwisdek) sie als Dreijährige nach dem Verschwinden ihrer Eltern während der argentinischen Militärdiktatur nach Deutschland mitgenommen hat. Oder, wie sie es selbst zusammenfasst: "Eine Frau hört auf einem Flughafen ein Lied und erinnert sich auf einmal an etwas, das ihr noch nicht schlüssig ist. Aber sie weiß, da gibt es noch etwas anderes ..."
KURIER.at: Was hat Sie an dem Filmprojekt "Das Lied in mir" so gereizt?
Jessica Schwarz: Ich wusste, dass ich in Argentinien drehen darf (lacht). Nein, es war so: Ich habe vom Regisseur eine Mappe mit argentinischen Impressionen geschickt bekommen, die bereits ein sehr spezielles Gefühl transportiert haben. Klar muss man immer aufpassen, wenn man von Filmstudenten eine wunderschöne Mappe bekommt, weil da mag vielleicht viel Zeit in der Mappe stecken, aber wenig im Drehbuch. Aber nachdem ich die Kurzfassung gelesen habe, wollte ich Florian Cossen sofort treffen. Für mich - als 77er-Baujahr - ist die Vorstellung schon unglaublich, dass ich zu Zeiten der argentinischen Diktatur tatsächlich jemand sein hätte können, der argentinische Wurzeln hat. Auch ich könnte eines dieser 400 vermissten Kinder sein, die noch immer nicht aufgetaucht sind.
Warum hatten Sie da sofort Vertrauen zu einem jungen Regisseur, der noch nicht etabliert ist?
Florian Cossen machte alles andere als den Eindruck, noch keinen Film gedreht zu haben. Er war unglaublich souverän und gut vorbereitet, hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, ein dreiviertel Jahr in
Argentinien gewohnt. Es war ihm wichtig, all diese argentinischen Klischees - wie etwa Tango - auszusparen. Er wollte wirklich authentisch sein. Nach diesen sehr philosophischen Gesprächen habe ich mir gesagt: Ich traue ihm das ganze einfach einmal zu.
Was macht es speziell, mit Regiedebütanten zu drehen?
Ich habe jetzt hintereinander drei Filme mit Debütregisseuren gemacht. Ich finde den Spirit, den man bei so einem Film bekommt, einfach unglaublich. Es ist ein anderer Druck da, es wirklich gut machen zu wollen, weil's eben das erste Projekt ist, und ich kann unter Druck ganz gut arbeiten. Ich bin jemand, der spürt, dass da was auf dem Spiel steht. Natürlich will man bei jedem Film gut sein, aber man ist noch einmal anders mit diesen Leuten in diesem Gefühl gefangen: Es ist der erste Film, und der muss wirklich leben. Ich mag das.
Problematische Vergangenheit
War die Auseinandersetzung mit der problematischen Vergangenheit bei den Dreharbeiten in
Buenos Aires ein präsentes Thema oder wird das eher verdrängt?
Man merkt, dass den Argentiniern das Thema immer noch wehtut und dass eine Aufarbeitung passiert. Es gibt zum Beispiel Castingshows im Stil von "Austria's Next Topmodel", wo immer noch die verschwundenen Kinder gesucht werden. Man sieht überall Plakate, in Taxis, in den Kiosken. Man spürt das Thema an jeder Ecke und es hilft natürlich der Entwicklung der Rolle ungemein, dass man von den Leuten so viel über die Vergangenheit erfährt. Es ist immer jemand da, der jemanden kennt, der jemanden verloren hat. Sei es in der Familie, in der Nachbarschaft oder im Freundeskreis. Dann merkt man aber andererseits, dass der Rio de la Plata in Buenos Aires komplett außen vor gelassen wird. In anderen Städten, die Wasser zu bieten haben, würden die Menschen gerne dort wohnen. Dem Rio de la Plata haben die Argentinier aber den Rücken zugekehrt, weil dort so viele Menschen gefoltert und aus Helikoptern hineingeworfen wurden.
Die Rache Marias an ihrem Vater wirkt eher subtil. Warum rastet die Filmfigur da nicht komplett aus, warum kehrt sie ihm nicht den Rücken zu, als sie die Wahrheit erfährt?
Natürlich gibt es diese ganze Vorgeschichte, dass die Mutter früh gestorben ist und dass der Vater der einzige Halt war, den sie hatte. Er brachte sie immer zum Training, war bei jedem Schwimmwettkampf dabei. Diese beiden sind zusammengeschweißt, auch wenn sie nicht das gleiche Blut teilen. Das macht ein sich-Lösen natürlich schwer. Es gibt nur einen einzigen Fall, wo tatsächlich das Kind seine Adoptiveltern angezeigt hat, ansonsten haben eigentlich alle beschlossen, zu beiden Familien Kontakt zu wahren, was natürlich der Horror ist, wenn Opfer und Täter plötzlich unter einem Dach leben.
Es sind ja 30 Jahre, die du schon mit einem Menschen verbracht hast, in denen er dir all seine Liebe gegeben hat. Wodurch vielleicht auch ein Verständnis dafür da ist, dass es eben Lebenslügen gibt und das Wissen, dass dieser Mensch am meisten sich selbst belogen hat. Diese Lüge immer mit sich herum zu tragen, muss eine solche Last sein. Ich fand, dass das etwas ist, das Maria auch durch den Kopf gegangen sein könnte.
Gefällt Ihnen die Arbeit mit anderssprachigen Schauspielerkollegen?
Ich habe so enormes Glück in den letzten Jahren, dass ich mit so vielen internationalen Schauspielern arbeiten darf, in Argentinien, auf Jamaika, in Frankreich oder auch mit dem dänischen Schauspieler Mads Mikkelsen. Ich finde es toll, dass alle Filmleute auf der Welt in gewisser Weise auch gleich funktionieren. Letztlich geht es allen darum, einen guten Film zu machen. Das Zusammenkommen verschiedener Sprachen ist etwas Inspirierendes, was einen Film auch weitläufiger, weltoffener macht.
Leistungsschwimmerin
Sie geben als Lieblingssport unter anderem Schwimmen an. War es Zufall, dass Sie nun eine Schwimmerin gespielt haben?
Das war ganz lustig: Als ich die Kurzfassung zu Lesen bekam, fragte ich Florian Cossen, ob er vielleicht wusste, dass ich früher einmal Schwimmerin war. Das war aber nicht so. Da war ich natürlich total in meinem Element, ich liebe das Wasser. Mit drei bin ich ins Wasser, bin geschwommen und eigentlich nie wieder richtig rausgekommen. Ich habe tatsächlich Leistungsschwimmen betrieben. Meine Disziplinen waren aber eher Rücken und Brust, für den Film musste ich mich mit dem Kraulen auseinandersetzen. Aber es war ganz toll, dass ich mit dem Trainer von Olympiaschwimmerin Britta Steffen trainieren durfte. Da hab ich tatsächlich zwei Monate lang dieses harte Training spüren dürfen, in etwas abgemilderter Form. Das hat mich wieder so richtig zum Schwimmen zurückgebracht, und zwar nur noch Kraul (lacht).
Warum sollte es gerade Kraulen sein?
Das ergibt einfach das schönere Bild. An sich ist für mich Brust die ästhetisch schönste Schwimmweise. Rücken geht irgendwie gar nicht - zumindest filmisch, weil man da zu viel Wasser im Gesicht hat. Und mit Kraul kann man halt eine schöne Strecke drehen, mit langgezogenen Bewegungen.
Über den Reiz der Salzburger "Buhlschaft"
Sie haben vor kurzem die Safier-Verfilmung "Jesus loves me" abgedreht. Da war wieder Michael Gwisdek ihr Partner …
Mit ihm war es ganz fantastisch zu spielen. Er ist in deutschen Filmen ja doch eher aus Komödien bekannt und ich weiß, dass es Florian Cossen gereizt hat, die Sachen, die er früher gemacht hat - auch am Theater -, wiederzuentdecken. Das war ganz toll, das mitzuerleben. Auch wie er sich immer wieder gewunden hat. Er wollte so gerne seine Arme einsetzen, musste sie aber unten am Körper lassen. Dann haben sich aber noch die Finger bewegt, weil sich bei Michael immer irgendwas bewegen muss. Das ist eine sehr intensive Arbeit gewesen. Und wenn man dann wieder aufeinander trifft (in "Jesus loves me", Anm.), aber nicht als Maria und Vater, sondern als Marie und Gott, hat man's natürlich ein bisschen einfacher (lacht).
Wie war es in "Jesus loves me", mit Nicholas Ofczarek zu spielen?
Also, mit Niki war es ganz großartig. Ein unglaublicher Kollege, bei dem ich mir gedacht habe: Wow, jetzt verstehe ich irgendwie, warum es mich manchmal ärgert, dass ich nicht an der Schauspielschule oder am Theater war. Weil er natürlich dieses Große total beherrscht. Er hat bei uns den Satan gespielt und wenn dann Florian David Fitz als Regisseur sagt: "Und jetzt gib mir mal ein bisschen Oper!", dann füllt der eine uralte Ruine mit einem Auftreten, dass du dich nur noch hinsetzst und alles vergisst, weil du bewundernd auf die Arbeit schaust, die Herr Ofczarek da liefert. "Oh, Moment, ich spiel' ja auch noch mit. Was mach ich denn jetzt?" (lacht) Macht einen irrsinnigen Spaß und ich freue mich unglaublich, wenn ich ihn hier in Wien dann auch einmal im Theater sehen kann.
Ofczarek spielt ja gerade den "Jedermann" in Salzburg. Würde Sie die Rolle der "
Buhlschaft" auch reizen bzw. ist man da schon einmal an Sie herangetreten?
Zum Zweiteren: Nein. Nachdem, was ich jetzt für Geschichten gehört habe, würde es mich natürlich reizen. Einfach so dieses Salzburger Gefühl, einmal da dabei zu sein, und man verfolgt ja auch in der Presse, wie sich Ben Becker gerade in Salzburg wohlfühlt. Ich denke, es ist ganz einfach ein großer Spaß und natürlich auch eine Herausforderung, diese Rolle zu spielen. Aber ich weiß nicht, ob ich eine typische Buhlschaft wäre. Eine Veronica Ferres war so eine typische Buhlschaft...
Aber die Rolle ist schon sehr unterschiedlich interpretiert worden ...
Ach, wenn man die Zeit hätte ... Es kommt natürlich auch darauf an, wer inszeniert und wie inszeniert wird und ich müsste mich erst einmal damit auseinandersetzen.
Vielleicht würde Ben Becker dann ja noch ein paar Jahre dranhängen ...
Genau (lacht).
Die Lehren aus "Romy"
Inwieweit hat die Rolle der "
Romy" auf Sie eingewirkt, hat Sie die Rolle gar verändert?
Insofern, dass ich gemerkt habe, mit welcher Leidenschaft man an seine Filme und Rollen herangeht und wie stark auch ich mich über meinen Beruf identifiziere. Aber der Film hat mich gelehrt, dass ich nie aus den Augen verlieren möchte, was es heißt, privat zu sein. Und da hatte Romy Schneider einfach keine Chance. Wenn man mit 14 in dem Beruf anfängt, bei mir war es mit 16, ist man stark instrumentalisiert. Man kennt seinen Körper, weiß, wie man für die Kamera zu arbeiten hat, wie man sich geben muss. Wir haben eigentlich nur einen Moment gefunden, wo Frau Schneider nicht gespürt hat, dass sie gefilmt wird. Wo man sie sehr privat sieht. Da habe ich gesagt, dass ich das für mich nicht möchte.
Wobei es schon Versuche gegeben hat von Boulevardmedien, näher an Sie und Ihre Biografie heranzukommen. Wie ist es Ihnen gelungen, das in gewissen Grenzen zu halten?
Ich denke, das Gute ist, dass ich selbst schon einmal auf der journalistischen Seite gestanden bin, was mir am Anfang unheimlich geholfen hat, weil ich zunächst einmal bei Viva mit den ganzen Fotografen hinter der Absperrung des Roten Teppichs stand und Interviews machte. Als ich dann selbst auf den Roten Teppich kam, wurde es auch in gewisser Form respektiert, wenn ich einmal nicht so einen guten Tag hatte - weil ich alle kannte. Dadurch konnte ich schon so einen Schutz aufbauen. Und wenn man dann aber gemerkt hat, es ist jetzt ein Interesse da und das muss jetzt irgendwie befriedigt werden, bevor sie anfangen bösartige Dinge zu schreiben oder sich etwas auszudenken, gibt man ihnen lieber etwas. Es ist ein Jonglieren zwischen Privat und Öffentlich, wo ich sage: Wenn ich da bin, dann geb ich etwas, aber wenn ich nicht da bin, bin ich auch nicht für euch da.
Wenn man sich ihre Rollen in den letzten Jahren ansieht, dann war alles dabei vom großen TV-Film über kleine Arthouse-Filme bis zu Kino-Komödien ...
Toll, nicht? (lacht) Ich bin ja so froh, dass es dieses amerikanische Prinzip, auf eine Rolle festgelegt zu sein - z.B. Love-Comedy - bei uns hier nicht so gibt. Man sieht, die Frau könnte vielleicht andere Talente auch noch haben. Ich war extrem glücklich, dass Florian Cossen mit diesem kleinen Projekt auf mich zukam. "Romy" und die "Buddenbrooks" waren Filme, die die Person
Jessica Schwarz stark geformt haben und da lag schon allein aufgrund der Personen Romy Schneider und Thomas Mann ein unglaublich großes Augenmerk von außen drauf. Jetzt konnte ich wieder in einem kleinen, feinen Film spielen, den ich einfach machen konnte.
Nach welchen Kriterien wählen Sie derzeit ihre Rollen aus?
Wenn ich ein Buch lese, muss es mich einfach packen. Auch wenn ich weiß, dass ich da durch eine harte Zeit muss. Jetzt, beim Dreh zu "Jesus liebt mich", musste ich mich plötzlich mit slapstickartigen Elementen auseinandersetzen, woran ich wirklich verzweifelt bin. Zurzeit stecke ich gerade in der Rolle einer Krebskranken, die sehr zynisch und bösartig ist, weil der Tod bei ihr bereits auf dem Plan steht. Das fällt mir auch nicht leicht, weil ich eher ein harmoniebedürftiger Mensch bin und nicht so harte Worte anwenden würde. Da kämpfe ich auch gerade jeden Tag, dieses sehr Fiese, Bösartige, Schwarze in mir rauszuholen. Ich bin aber gerade voll drin, und es macht sogar Spaß, mürrisch und schlecht auszusehen dabei. (lacht)
Was kommt als nächstes?
Der nächste Film, "Upgrade", geht auch wieder stark in die Arthouse-Richtung, mit Sandrine Bonnaire als Kollegin, was natürlich sehr herausfordernd ist. Denn ich muss auf Französisch spielen und verzweifle gerade daran, den französischen Text zu lernen.
Sie genießen die Abwechslung...?
Ich genieße die Abwechslung total! (lacht)
Zur Person: Jessica Schwarz
Karriere
Ihre Karriere begann die 1977 in Michelstadt (Hessen) Geborene mit der Wahl zum "Bravo"-Girl 1993. Danach arbeitete sie als Model und später als Moderatorin beim Musiksender "Viva". Erste Erfolge feierte sie mit den Filmen "Nichts bereuen" (2001) mit Daniel Brühl (mit dem sie auch fünf Jahre liiert war) und "Kammerflimmern" (2004). Einem großen Publikum wurde Schwarz durch Rollen in Kinofilmen wie "Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders" oder in TV-Filmen wie den "Buddenbrooks" bekannt. Große Aufmerksamkeit erlangte sie auch 2009 mit der Darstellung der Romy Schneider im deutschen Fernsehfilm "Romy".
Privat
Jessica Schwarz ist mit dem Wiener Kameramann Markus Selikovsky liiert.
Film
"Das Lied in mir" ist Florian Cossens Debütfilm und dessen Abschlussprojekt an der Filmakademie Baden-Württemberg. Cossen wuchs in Israel, Kanada, Spanien, Costa Rica und Deutschland auf; als Gaststudent verbrachte er sechs Monate in Buenos Aires. Bei der Weltpremiere beim Montreal World Film Festival wurde "Das Lied in mir" mit dem FIPRESCI-Preis und dem Publikumspreis ausgezeichnet, ehe er beim Filmfestival Zürich als bester deutschsprachiger Film und bei den Internationalen Hofer Filmtagen geehrt wurde. Schauspielerin Beatriz Spelzini (Estela) bekam überdies den Deutschen Filmpreis als beste Nebendarstellerin
Geschichte
Tragischer Hintergrund ist das Verschwinden von 30.000 Menschen zur Zeit der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983). Die "Madres de Plaza de Mayo" verlangen seit 1977 erfolglos die Aufklärung dieser Verbrechen. Rund 400 Kinder sind noch immer vermisst.
Kommentare