Belvedere: Jenseits von schnell und gemütlich

Hannah Höch, "Die Journalisten", 1925
Die Schau "Wien – Berlin" zeigt ein außergewöhnliches Stimmungsbild zweier Metropolen.

Ohne Klischees geht’s nicht. Was die Mentalitätsunterschiede zwischen Wien und Berlin angeht, so waren diese schon an der Kippe vom 19. zum 20. Jahrhundert gut einzementiert: Hier die gemütliche Donaumetropole, deren Bewohner ein goldenes Herz in der Brust tragen; dort das schnelle, kühle Berlin mit zackig-nervösen Bürgern.

Der Schau „WienBerlin: Kunst zweier Metropolen“, die nach vier höchst erfolgreichen Monaten in Berlin nun bis 15.6. im Unteren Belvedere zu sehen ist, ist eines hoch anzurechnen: Sie erkennt zwar die Stereotypen und deren Wirkmächtigkeit, tappt aber nicht in die Falle, sie durch Beispiele aus der Kunst bestätigen zu wollen.
Statt dessen breitet sich in den barocken Räumen ein dichtes Panorama einer bewegten Zeit aus: Vom Ende des 19. Jahrhunderts, als sich fortschrittlich gesinnte Künstler in beiden Städten zu „Secessionen“ formierten, bis zum Beginn der 1930er Jahre spannt sich der Bogen der Schau, die zwar viel Zeitgeschichte transportiert, im Kern aber doch stets die Kunst sprechen lässt.

Reger Austausch

Kurator Alexander Klee hat die Kunstwerke in erhellenden Vergleichsreihen gehängt: Gleich am Beginn zeugen da zwei fast reportagehafte Bilder – Josef Engelharts „Pülcher“ (1888) und Hans Balunscheks „Montagmorgen“ (1898) vom Einzug neuer Motive in die Kunst.

Während der „Pülcher“ noch in der nostalgischen Tradition der „Wiener Typen“ steht, sind die Frauen, die im Bild „Montagmorgen“ scheinbar verkatert rauchen und ins Leere starren, Vertreterinnen eines neuen, modernen Menschentyps.

Der Ausstellung, die in Berlin von rund 130.000 Menschen gesehen wurde, gingen zwei Jahre der Vorbereitung voraus, in denen die Kunsthistoriker vielfältige Beziehungen zwischen den Kunstszenen beider Städte recherchierten.

So gab es im Berliner „Café des Westens“ um 1911 einen regelrechten Wiener Künstlertreffpunkt, die Secessionisten stellten einander aus, und in den Zeitschriften „Die Aktion“ und „Der Sturm“, die für Künstler beider Städte als Leitmedium dienten, wurden Bilder von Schiele, Kokoschka und Oppenheimer publiziert.

Die faszinierende Bildwelt der beiden Metropolen

Belvedere: Jenseits von schnell und gemütlich

Egon SchieleBildnis Eduard Kosmack, 1910Öl…
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AusstellungsansichtWien - Berlin. Kunst zweier…
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George GroszDaum marries her pedantic automati…
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Otto Rudolf Schatz Ballonverkäufer, …
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Lotte LasersteinIm Gasthaus, 1927Öl au…
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Otto Rudolf SchatzBallonverkäufer, 1929…
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Christian SchadPorträt des Schriftstellers Lud…
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Sergius PauserLuis Trenker mit Kamera, 1938M…

Klischees zerbröseln

Typische Stile beider Städte sind vor dem Hintergrund dieses Austauschs schwieriger festzunageln, auch wenn sie in den Augen der Künstler und Kritiker jener Zeit durchaus manifest waren: So fühlten sich Österreichs Expressionisten oft als geistige Erben des Barock und grenzten sich von der als „gotisch“ bezeichneten, deutschen Spielart, wie sie etwa Ernst Ludwig Kirchner vertrat, ab.

In der Schau lässt sich diese Linie nicht ganz so klar nachverfolgen: Das großartige „Porträt Eduard Kosmack“ von Egon Schiele – der Maler wurde vom Kritiker Arthur Roessler selbst als „Neugotiker“ bezeichnet – scheint hier mehrere Welten gleichzeitig zu bewohnen.

Etwas klarer treten die Unterschiede nach dem Ersten Weltkrieg hervor: Die Schärfe und Illusionslosigkeit, mit der ein George Grosz oder ein Otto Dix die Gräuel der Katastrophe in Bilder zu bannen vermochten, hat hier auf Wiener Seite kein wirkliches Pendant.

Der Berliner Dadaismus ist in der Schau u.a. mit Bildern von Hannah Höch und einer von der Decke baumelnden Figur eines uniformierten Schweins von John Heartfield präsent. Wie der Autor Ralf Burmeister im Katalog schreibt, hielt der Dada-Mitbegründer Hausmann, selbst ein „berlinisierter Wiener“, Österreich allerdings für den letzten Fleck der Erde, an dem diese radikale Anti-Kunst greifen würde.

Als Wiener Beitrag jener Zeit kommt statt dessen der „Kinetismus“, der ab 1922 entwickelt wurde und das Schnelle und Moderne in ornamenthaften Bildern einfangen wollte, in der Ausstellung zu Ehren.

Grenzgänger

Dass es trotz gravierender Unterschiede mehr Berührungspunkte zwischen den Städten und Stilen gab, als gemeinhin bewusst ist, kann die Schau in schlüssiger Weise zeigen. Wer hätte etwa gedacht, dass Christian Schad, mit seinen betont kühlen Menschenfiguren ein Inbegriff der „Neuen Sachlichkeit“ in Deutschland, vor seinem Durchbruch prägende Jahre in Wien verbrachte?

Im Belvedere entzückt die Konfrontation von Schads Porträts mit surrealen Stillleben des Österreichers Rudolf Wacker oder Bildern von Albert Birkle, einem Berliner, der 1932 nach Salzburg zog.

Bei allem Verlangen, eine Epoche historisch „durchzunehmen“, haben die Kuratoren nicht verabsäumt, wirklich spektakuläre Bilder auszuwählen und echte Neuentdeckungen zu ermöglichen. Schon allein in dieser Hinsicht hat sich diese Koproduktion von Belvedere und Berlinischer Galerie gelohnt.

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