Jelineks Ibiza-Stück: Rosa Gorilla im Gedankenstrom
Wie beginnen?
Ein neues „Stück“ von Elfriede Jelinek als Stück zu erfassen, diesen Versuch haben Kritiker und Theaterbesucher ohnehin längst aufgegeben. In Jelineks Texten gibt es keine Handlungen, oder besser gesagt: Alle Handlungen auf einmal. Bei Jelinek hört die Sprache sich selber beim Sprechen zu.
Jelinek schreibt „Textflächen“, wobei sie selbst im Programmheft den Begriff „Textteppich“ vorschlägt. Vielleicht trifft es das Wort „Textwurst“ am besten, das der Kritiker der APA verwendet. (Und erzählt nicht Martin Wuttke zu Beginn ein absurdes Märchen von der Blutwurst und der Leberwurst?)
Wo also beginnen?
Vielleicht mit der Inszenierung des deutschen Regisseurs Robert Borgmann. Borgmann – der unter anderem bildende Kunst studiert hat – löst Jelineks Text in frei assoziierten Bildern auf. Diese Bilder sind manchmal hoch poetisch, dann wieder komisch, manchmal rätselhaft, dann wieder knapp am Villacher Fasching, meist aber eh alles zugleich.
Joker
Da tapst Caroline Peters im rosa Gorilla-Kostüm über die Bühne, da üben sich Felix Kammerer und Christoph Luser mit Wallehaar-Perücken und Slimfit-Anzügen als Sebastian-Kurz-Parodisten-Duo. Da werden schemenhafte Ausschnitte des Ibiza-Videos auf Wände projiziert und diese Wände anschließend zertrümmert (da ist man nahe an der Regietheater-Parodie).
Da tritt Martin Wuttke mit „Joker“-Make-up vor den Vorhang und kämpft mit widerspenstigen Sesseln. Da spielt ein Biedermeier-Pärchen im Schneegestöber, da werden spanische Infantinnen-Gemälde nachgestellt. Da betrachtet die NSU-Terroristin Beate Zschäpe traurig ihr eigenes Porträt im Museum.
Bühne und Zuschauerraum gehen ineinander über, die Schauspieler sind zu Beginn Teil des Publikums, über einem Bild der Burgtheater-Feststiege prangt der Schriftzug „Eintritt macht frei“ – ein Wortspiel (Eintritt = ein Tritt) und gleichzeitig Anspielung auf den Slogan „Arbeit macht frei“, mit dem die Nazis KZ-Opfer verhöhnten.
Was das alles genau soll, erschließt sich auf den ersten Blick nicht (was man auch als Hinweis darauf verstehen kann, dass es zweite und dritte Blicke braucht, wenn man klar denken will), aber eines wird dem Zuschauer deutlich gemacht: Du bist hier Komplize, du bist mitgemeint.
Entsetzlich lächerlich
Damit kommen wir zum aussichtslosen, weil von der Autorin vermutlich auch gar nicht erwünschten Versuch, Jelineks Text zu interpretieren.
„Über Ibiza muss man lachen, man kann es aber nicht“, schreibt Jelinek am Ende ihres Aufsatzes im Programmheft. Genau das gibt der Text wieder: Er ist die Parodie des nicht Parodierbaren, weil ohnehin schon entsetzlich Lächerlichen und lächerlich Entsetzlichen.
Jelineks Worte denken nach über Rechtspopulismus und Machtgier, über geschmeidige Politikerbuben und deren Angst vor Frauen, Fremden und sich selbst, über die religionsähnliche Verehrung moderner Ersatzgötter und Erlöserfiguren, über Gewalt und Hass, über Kunst und Medien und Mode und über eigentlich eh alles. Der Text reist von Ibiza über Verweise auf den französischen Kulturanthropologen und Religionsphilosophen René Girard bis zu Euripides und wieder retour.
„Schwarzwasser“ ist gleichzeitig Essay und dramatisierte Zeitungskolumne, wild sich überschlagender Gedankenstrom und Kabarett, Wortspielplatz und kunstphilosophisches Proseminar.
Dass diese herrlich maßlose Denkübung bei der Uraufführung im Akademietheater trotz einiger Längen (mehr als drei Stunden Wortwurstkauen kann sehr anstrengend sein!) auch als Theaterabend funktioniert, liegt an den grandiosen Darstellern: Martin Wuttke, Caroline Peters, Felix Kammerer und Christoph Luser sind Jelineks Text gute Anwälte.
Jubel
Ein Sprechchor und zwei sehr gute Sängerinnen unterstützen das Spiel virtuos.
Der Großteil des Premierenpublikums – darunter der Wiener Bürgermeister – nahm die Uraufführung mit Jubel entgegen, der kleinere Teil floh still. Es gab kein Buh – die Zeit der Theaterskandale ist endgültig vorbei.
Für alle, die in Jelineks Wortstrom Schwimmen lernen wollen: Der Text ist bei Rowohlt als Buch erschienen.
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