Während etwa das Jazzfest Wien bereits zum zweiten Mal nicht einmal ein bescheidenes Lebenszeichen gab, ist man im Pinzgau nach einem reduzierten „Weekender“ im Vorjahr – und schwierigen Planungen – heuer mit vollem Programm und mehr als 60 Konzerten – zwei Drittel davon gratis – zurück. Verlängert auf eine Woche und europäischer denn je.
Die Veranstalter gehen dabei auf unterschiedliche Bedürfnisse ein, wobei die 3-G-Regeln gelten: bei Jazz-Radtouren, Jazz auf der Alm oder Volksfest und Party im Stadtpark etwa zur Italo-Combo Rumba de Bodas.
Gespielt wird außer im Kunsthaus Nexus, dem wegen der „Short Cuts“ so beliebten Ort der experimentelleren Klänge für fortgeschrittene Hörer und neugierige Ohren, in einer Buchbinderei und heuer erstmals in einer alten Industriehalle.
„Schreit der Helge Hinteregger schon?“, war da die Frage. Mit „throat“ – also Gurgel, Hals, Kehle – ist er in seiner Rolle definiert im Quartett Veneta des vielseitigen Kontrabassisten Lukas Kranzelbinder, das hemmungslos leidenschaftlich eine Wahnsinnssoundwall aufbaut.
Künstler treten zum Teil mehrfach in verschiedenen Konstellationen auf. Kurzum: Nach der virus-bedingten Lethargie ist die Leidenschaft wieder zurück. Niescier und dem englischen Pianisten Alexander Hawkins (am 23. 9. auch im Wiener Porgy & Bess) im Duo gemeinsam ist die Liebe zu Ornette Coleman und Cecil Taylor, sprühendes Temperament und die Freude am Experiment und kontrastreichen Spiel.
Die Oberflächlichkeit beiseite und gänzlich einlassen muss man sich auf die zum Teil groove-orientierten sowie mit perkussiven Clustern und glasklaren Läufen durchsetzten Passagen des von einem Kritiker als „erstklassiger Piano-Shredder“ titulierten Craig Taborn im Trio mit der Cellistin Tomeka Reid und dem Drummer Ches Smith.
Einen Nachklang auf das viel beachtete Album „Who Sent You?“ (2020) gab’s gegen Mitternacht als Betthupferl: mit dem Anfang 2015 bei einem „Musicians Against Police Brutality“-Event vom Saxofonisten Keir Neuringer, der Dichterin und Sängerin Camae Ayewa alias Moor Mother und dem Bassisten Luke Stewart gegründeten Free-Jazz- und Spoken-Word-Kollektiv Irreversible Entanglements. Slaveship Punk nennt die Frontfrau, Aktivistin und Rapperin Camae Ayewa den intensiven Free-Funk-Punk-Spiritual-Mix des Quartetts aus Philadelphia: Es geht in den zornigen Moritaten um die Befreiung aus der Sklaverei und die nicht endende Herrschaft des Rassismus in den USA, um die allgegenwärtige Angst und den Widerstand gegen die Diskriminierung.
Die mit brodelnder Wut in der Stimme vermittelten poetischen Erzählungen über Trauma und Überleben sind die Message und Essenz einer Art Soundtrack zur Black-Lives-Matter-Bewegung.
Mit „koscherer Liebe, türkischen Küssen, englischen stiff upperlips und deutschen Umarmungen“ grüßte davor KUHN FU VI mit Tobias Delius und John Dikeman am entfesselten Sax. Für die Band des Gitarristen Christian Kuhn und ihre „paranoide Prog-Punk-Jazz-Performance“ gibt es keine Schublade. Wie das Album „Chain the Snake“ (2019), beschrieben als „behaarter Fisch mit Beinen, der auf einen Baum klettern kann“, ist die Musik stets überraschend.
Aber wie sagte auch Angelika Niescier: „Wir sind zu 100 Prozent präsent. Da kann alles passieren. Wir wissen nie genau, was passieren wird. Und das genau ist ja Jazz.“
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