"Jagdszenen aus Niederbayern" im Volkstheater

"Jagdszenen aus Niederbayern" im Volkstheater
Kritik: Das Wiener Volkstheater widmet sich der Wiederentdeckung des Dramatikers Martin Sperr.

So schnell kann es gehen mit dem Vergessen: Wer Martin Sperr ist, muss man erklären. Dabei starb der Schauspieler und Autor erst 2002.In den Sechzigerjahren war der 1944 geborene Sperr – er zählte zur Generation von Rainer Werner Fassbinder und Franz Xaver Kroetz – zeitweilig der erfolgreichste neue deutsche Dramatiker. Seine Stücke befassten sich mit Alltagsfaschismus und historischen Figuren, außerdem übertrug er viele fremde Stücke ins Bayrische. 1972 erlitt er eine Gehirnblutung, von der er sich nie ganz erholte – dennoch blieb er ein vitaler, viel beschäftigter Schauspieler. Als 18-Jähriger schrieb er "Jagdszenen aus Niederbayern", das Stück wurde 1966 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt und machte den Dichter mit einem Schlag berühmt. Der Text zeigt deutlich, dass Sperr vor allem von Horváth und Brecht beeinflusst war, zitiert aber auch den bitteren Spott von Karl Valentin.

Dorftrottel

In 17 kargen Szenen erzählt Sperr, wie sich eine Dorfgemeinschaft ihrer Außenseiter entledigt: Der "Dorftrottel" wird in den Selbstmord getrieben, und der Homosexuelle zum Mord an der "Hure". Die Handlung spielt nach dem Krieg und zeigt, dass sich die Mechanismen, die zur Katastrophe führen nicht ändern: Dumpfe Angst vor dem Fremden, Unerklärlichen in einem selbst führt zur Gewalt gegen "die anderen". Die Regie von Schirin Khodadadian betont das Museale des Stoffes, die Inszenierung sieht aus wie ein kritischer Fernsehfilm aus den Siebzigerjahren, bevölkert von Deix-Figuren mit vor Dummheit und Missgunst glänzenden, feisten Gesichtern, gehüllt in schlammfarbene Bauernjoppen.

Auch die Bühne von Hugo Gretler trägt nicht dazu bei, die Aktualität der Handlung deutlich zu machen: Gespielt wird im Einheitsbühnenbild, einer Baustelle, auf der man Schweine und Menschen tranchiert. Dazu kommt, dass die Inszenierung den Figuren kaum Entwicklung zugesteht: Sie sind dumpf und bleiben dumpf. Selbst die Opfer hinterfragen ihre Opferrolle kaum. Die Schauspieler – stellvertretend seien hier Simon Mantei als schwuler Abram, Robert Prinzler als geistig kranker Rovo, Martina Stilp als seine Mutter oder Günter Franzmeier genannt – geben alles, das Ensemble ist stark. Der eine Teil des Publikums jubelte, der andere floh stumm nach 90 pausenlosen Minuten.

Fazit: Statische, beklemmende Bilder

Regie: Sie betont das Statische, Holzschnittartige der  Geschichte: Das Dorf als Organismus, der Unverdauliches abstößt. So entstehen starke, beklemmende Bilder. Die Handlung verliert so aber an Dynamik, es gibt keine Entwicklungen, wird auch ein klein wenig langweilig.
Spiel: Alle bemühen sich sehr, es gibt starke Momente. Gute Ensembleleistung!

KURIER-Wertung: **** von (*****)

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