Jack London: Groß, größer, größenwahnsinnig

Eines der letzten Fotos von Jack London
Zum 100. Todestag ein Blick in die größte Geschichte – in sein Leben. Und in neue Übersetzungen seiner Bücher.

Geplant war hier der Titel "Lebenshunger, hochansteckend". Denn es stimmt ja: Jack London machte alles zu 100 Prozent und mehr, als Austerndieb genauso wie als offiziell befugter Jäger der Austerndiebe, als Robbenjäger und Goldgräber, als Sozialist, als Schriftsteller, Bauer, Pferdezüchter, Alkoholiker ... als einer, der sich anfangs nicht einmal Briefmarken leisten konnte, um seine Kurzgeschichten an Verleger schicken zu können.Und der sich dann ein Haus in Kalifornien leistete, 26 Zimmer aus Lavastein, ein 18 Meter langes Wohnzimmer mit Steinway-Flügel, ein Esszimmer für 50 Gäste ...

Kurz bevor der Amerikaner 40-jährig an Nierenversagen starb, notierte er: "Ich hatte mehr Glück als viele Hunderte Millionen Menschen meiner Generation, und obwohl ich viel gelitten habe, habe ich viel erlebt, viel gesehen und viel empfunden. Ja, die Sache hat sich wirklich gelohnt."

Aber das ist zu positiv. Deshalb lieber doch nicht der Titel "Lebenshunger, hochansteckend". Wenn man nämlich anlässlich des 100. Todestages von Jack London in aller Ruhe vom rohen Erdapfel, den der "Seewolf" einst zerdrückt hat, auf dessen Autor blickt, entdeckt man auch:

Er wollte Übermenschliches. Seine Größe schwappte in Größenwahn.Abgesehen vom Haus mit Bach, der in ein Schwimmbecken floss (es brannte ab, kaum war es gebaut): Eine Jacht für eine Weltreise musste nach Londons Plänen gebaut werden. Sie wäre fast untergegangen.Und 100.000 Eukalyptus-Setzlinge pflanzte er. Sie vertrockneten. Und so weiter.

Jack London machte sich zum Sklaven des Schreibens, denn immer galt es Schulden zu begleichen.AttentateEin Mal nur pfiff er auf Buch und Geld ... Das war beim Manuskript von "Mord auf Bestellung": Eine New Yorker Agentur für Attentate räumt Leute weg, die den Tod verdienen. Nachweislich verdienen, man hat Moral. Das ist ein Problem. Denn auch der Chef der Agentur verdient den Tod.Jack London hat aus diesem Gebilde nicht mehr herausgefunden. Er legte den unvollendeten Roman auf die Seite. Man liest ihn gern, weil "Jack London" auf dem Umschlag steht.

Der Franzose Michel Viotte, der oft für den TV-Sender Arte arbeitet, hat heuer einen Dokumentarfilm über den Gefeierten gedreht. Material wurde fürs aktuelle Buch "Die vielen Leben des Jack London" weiterverwendet. Der Text ist nicht gerade vibrierend.Aber 500 Fotografien erzählen die größte Geschichte: Es war einmal ein Schriftsteller, der nicht schreiben wollte. "Nur" leben. Am liebsten hätte er sich die Finger abgeschnitten.

Michel Viotte: „Die vielen Leben des Jack London
Übersetzt von Annegret Hunke-Wormser.
Knesebeck Verlag .240 Seiten. 36 Euro.

KURIER-Wertung: ****

Jack London: „Mord auf Bestellung“
Übersetzt von Eike Schönfeld. Vervollständigt von Robert L. Fish. Nachwort von Freddy Langer. Manesse Verlag. 272 Seiten.
25,70 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

Die Reise mit der Snark

Im Rennen liegen der Chinese und der Hawaiianer gleichauf. Beide haben Lepra. Auf der Zielgeraden zieht der Portugiese mit seinem Pferd vorbei. Er hat Lepra. Auch der Schiedsrichter hat Lepra. Alle Zuschauer haben Lepra. Und alle johlen, freuen sich.
Der damals schon berühmte Jack London besuchte 1907 während seiner zweijährigen Schiffsreise (die sieben Jahre hätte dauern sollen, aber an Bord war ständig jemand krank) die Leprakolonie auf der Pazifikinsel Molokai. Und genierte sich, weil er dort so viel Spaß hatte. Schön sei es gewesen.
Das ist eine der Reportagen aus „Die Reise mit der Snark“ – für Zeitungen geschrieben, um die Reise und die hochseetaugliche Jacht namens Snark finanzieren zu können. Jack London schrieb, während er Zahnweh hatte. Während er Hauttuberkulose hatte. Während er als Kapitän das Kommando übernahm. Jack London schrieb an Bord u. a. auch „Martin Eden“ und „Lockruf des Goldes“, aber sogar seine schnellen journalistischen Arbeiten verlangen die Höchstwertung.

Jack London: „Die Reise mit der Snark“
Übersetzt von Alexander Pechmann.
Mare Verlag. 336 Seiten. 28,80 Euro.

KURIER-Wertung: *****

Martin Eden und das Eisen

Du leistest etwas, und es heißt: Das ist ein Schmarrn. Die Leute lassen dich fallen. Dann überlegt es sich die wankelmütige Gesellschaft: Die alte Leistung ist doch kein Schmarrn, sie ist großartig! Du hast Erfolg, und schon drehen sich die Leute zu dir um ... müde kann man von diesen Spielchen werden, lebensmüde bei ständigen Vorurteilen.
Martin Eden“ erzählt eine solche Geschichte. Jack London schrieb sie auf der Snark (siehe links), wie immer im Stress, um seine Schulden zahlen zu können: 1000 Wörter pro Tag. Viel Autobiografisches steckt in diesem Helden aus der Arbeiterklasse, einem Matrosen, der Eisen essen könnte, wenn’s darauf ankommt – aber was in feinen Kreisen geredet wird, das muss er erst verdauen. Er liest und lernt und liest, bis er sich nicht mehr zu verstecken braucht. Rücksichtslos ist er so nebenbei geworden. Schriftsteller will der Kerl jetzt auch noch werden ...
Ein Hauptwerk Jack Londons aus dem Jahr 1908, unglaublich nahe bei Sartre und Camus, als in einer Welt ohne Gott in den 1930ern die Sinnfrage gestellt wurde.

Jack London:Martin Eden
Neu übersetzt von Lutz-W. Wolff.
dtv. 528 Seiten. 24,70 Euro.

KURIER-Wertung: *****

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