"Schmalpickter" Mörder als cooler Lebemann

Johannes Krisch hat sich „Jack“ bis zu den Tattoos angeeignet.
Johannes Krisch erweckt im Film den hofierten und gehassten Häfenliteraten Jack Unterweger zum Leben.

Häfenpoet, Charmeur, Mörder: Jack Unterweger ist auch zwanzig Jahre nach seinem Tod ein Mann voller Geheimnisse. Sieben Jahre hat Regisseurin Elisabeth Scharang an dem Film über den fast zum Popstar stilisierten Frauenmörder gearbeitet. Nach Recherchen und Gesprächen mit Zeitzeugen drehte Scharang eine Mischung aus Psychogramm und Edel-Thriller. Mit fiktiven Figuren, die an reale Personen angelehnt sind – und mit Birgit Minichmayr, Corinna Harfouch oder Paulus Manker hochkarätig besetzt.

Am Freitag kommt "Jack" in die Kinos. Für Hauptdarsteller Johannes Krisch ist das – nach der Weltpremiere in Locarno – der eigentliche Abschluss. "Mit der Premiere in Wien (war am Dienstag, Anm.) ist diese lange Reise zu Ende", sagt er. Fünf Jahre lang hat sich der Burgschauspieler die Rolle angeeignet – über Fotos, Vernehmungsprotokolle und Unterwegers Bücher.

KURIER: Vor mehr als 20 Jahren hat sich Jack Unterweger das Leben genommen. Warum polarisiert diese Figur noch immer?
Johannes Krisch:
Es ist deswegen so interessant, weil dieser Mann viele Fragen offen gelassen hat durch sein Leben.

Elisabeth Scharang wollte ihren eigenen „Jack“ kreieren. Inwieweit kann man diesen vom echten Jack Unterweger trennen?

Wir wollten einen Spielfilm machen, und keine Fernsehdokumentation, davon gibt es ja schon genug. Was real und was fiktiv, ist in diesem Fall völlig irrelevant.

Elisabeth Scharang zeigt nur den ersten Mord und beantwortet die Schuldfrage nicht. Die Faktenlage sei nicht eindeutig genug. Wie kamen Sie zu Ihrem persönlichen Urteil?

Ich musste mir die Frage natürlich beantworten, sonst hätte ich ihn nicht spielen können. Allerdings verrate ich nicht, wie ich mich entschieden habe. Da würde ich zu viel preisgeben, und das würde dem Film nicht guttun.

"Schmalpickter" Mörder als cooler Lebemann
ABD0030_20150831 - WIEN - ÖSTERREICH: Der Schauspieler Johannes Krisch am Montag, 31. August 2015, während eines Interviews mit der APA-Austria Presse Agentur anl. des Kinostarts des Unterweger-Films "Jack". - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Zunächst verleihen Sie Jack eine gewisse Bedrohlichkeit, dann spielen Sie ihn als coolen, fast unterkühlten Lebemann.

Der Jack hat sich auch selbst so gesehen. Die Zeit vor seiner Haft hat er wiederum so beschrieben, dass er wie er ein Hund gelebt hat, wie ein wildes Tier. Das kann man alles nachlesen.

Seine autobiografischen Angaben werden zum Teil auch angezweifelt. Wie sehen Sie das?

Jeder spricht zum Beispiel heute noch davon, dass seine Mutter Prostituierte war, aber das stimmt nicht. Dieses Gerücht hat er gestreut, später hat er es aber selbst widerlegt. Er meinte, er hat das nur gesagt, um sich zu verkaufen. Diese Geschichten sind noch immer in Umlauf, und es macht auch den Mythos Jack Unterweger aus, dass man nicht weiß, welches Gschichterl wahr ist und welches nicht.

"Jack": Bilder aus dem Film

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Jack…
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JACK
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Johannes Krisch als Jack Unterweger…
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Jack Unterweger
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ARCHIVBILD JACK UNTERWEGER
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"Schmalpickter" Mörder als cooler Lebemann
In Susanne Sönnmann (Corinna Harfouch) findet er im Film eine Geliebte, die auch über große Finanzmittel verfügt

Im Film werden Beziehungen zu Frauen aus unterschiedlichsten Milieus gezeigt. Was machte Unterwegers Anziehungskraft aus?

Dass er verurteiler Mörder und im Gefängnis war, machte sicher einen gewissen Reiz aus, das Spiel mit dem Feuer. Dazu kommen vielleicht noch Beschützerinstinkte. Und es wirkt ja nicht nur auf Frauen anziehend: Sich mit jemandem zu unterhalten, der über eine Grenze gegangen ist, die Gott sei Dank die meisten Menschen nicht überschreiten. Das birgt ein Geheimnis, ein Tabu.

Fanden Sie es gerechtfertigt, dass viele in der Kulturszene ihn damals unterstützt haben?

Es war auf jeden Fall en vogue. Weil man ihn als Paradebeispiel für gelungene Resozialisierung benutzt hat, die damals politisch ein großes Thema war. Genauso hat er die Politik und die Szene für sich benutzt, um Karriere zu machen. Also haben sich die gegenseitig gebraucht.

Sie verkörpern ihn blass und mit eingefallen Wangen.

Keine Sorge, mir geht es gut. Der Unterweger war halt ein Schmalpickter, wie man so schön sagt bei uns, und den kann man natürlich nicht ausg’fressen spielen.

War es eine Monsteraufgabe, diese Figur zu bewältigen?

Natürlich war es eine extreme Herausforderung, aber das ist ja auch der Reiz daran. Man kann sehr froh sein, wenn man solche Aufgaben bekommt, denn man bekommt nicht oft die Möglichkeit, sich so genau vorbereiten zu können.

Sie drehen gerade in Berlin einen Horrorthriller mit einem US-Regisseur. Sie leben jetzt auch dort. Aus beruflichen Gründen?

Das Leben hat mich nach Berlin gespült. Über das Filmprojekt darf ich nichts sagen, das hab ich unterschrieben.

Gibt es Theaterpläne in Berlin?

Zurzeit nicht. Ich bin ja fest am Wiener Burgtheater engagiert und das wird auch so bleiben, weil das meine künstlerische Heimat ist.

Sie spielen wieder in Nestroys "Talisman". Werden Sie in Ihrem Couplet noch einmal die Burgtheateraffäre aufgreifen?

Nein. Kann sein, dass ich eine Lobeshymne schreibe und uns dazu gratuliere, dass wir "Theater des Jahres2015" geworden sind. (lacht) Weil es zeigt, dass wir wieder am richtigen Weg sind und dass Karin Bergmann das ausgezeichnet macht. Das beruhigt am Haus und macht uns freier, um uns in Zukunft künstlerisch mehr zu trauen.

Eigentlich hatte sie keine Lust mehr, ein weiteres Stück österreichischer Kriminalgeschichte aufzuarbeiten. Nach ihrer TV-Spieldoku "Franz Fuchs – ein Patriot" von 2007 nahm sich Elisabeth Scharang dann doch die Geschichte des Häfenpoeten und Frauenmörders Jack Unterweger vor – aber mit anderen Mitteln. Scharang erschuf für den Spielfilm ihren eigenen "Jack", den Johannes Krisch als dandyhaften, smarten Frauenhelden anlegt. Nach Recherchen und Gesprächen mit Zeitzeugen baute Scharang einen kühlen Hochglanz-Thriller mit fiktiven Figuren, die an reale Personen angelehnt sind. Diese sind mit Birgit Minichmayr, Corinna Harfouch oder Paulus Manker hochkarätig besetzt.

"Dieser Film liebt die ganz große Leinwand", meint die Regisseurin. Dass die Weltpremiere beim Schweizer Filmfestival Locarno stattfand, ist stimmig. Auf der Piazza Grande, wo "Jack" gezeigt wurde, steht die größte Freiluftleinwand Europas.

KURIER: Ein Spielfilm lebt von der Identifikation des Publikums mit der Hauptfigur. Wie funktioniert das bei einer Person wie Jack Unterweger?

Elisabeth Scharang: Ich hatte lange keine Ahnung, wie ich diese Männerfigur schreiben soll. Daher habe ich viel mit den Frauen gesprochen, die mit ihm zu tun hatten. Ich habe ihn lange Zeit von außen beobachtet, bevor ich ihn zu meinem "Jack" – nicht Jack Unterweger – machen konnte. Das letzte Quäntchen war, dass ein Mann wie Johannes Krisch da hineinschlüpft und lebendig macht, was noch fehlt.

"Schmalpickter" Mörder als cooler Lebemann
Johannes Krisch bei Dreharbeiten zu JACK

Johannes Krisch sagte in einem Interview, er musste für sich klären, ob Unterweger schuldig oder nicht schuldig ist, um das überhaupt spielen zu können. Haben Sie das auch getan?

Nein. Für mich ist es gut möglich, dass er es war. Es ist auch gut möglich, dass er es nicht war. Und eigentlich hieße das, ob man das will oder nicht, in unserem Rechtssystem: "Im Zweifel für den Angeklagten."

Es geht um die elf Morde Anfang der 90er-Jahre, für die Unterweger nach seinem Selbstmord nicht rechtskräftig verurteilt werden konnte. Wie wichtig war das für den Film?

Ganz wichtig. Wäre das ein abgeschlossener, klarer Fall, mit einem Urteil, an dem nicht mehr zu rütteln ist, hätte ich das nie mehr angegriffen. Es ging mir darum, dass es eine offene Geschichte ist. Es ist aber niemandem so im Kopf geblieben. Für fast alle , die man darauf anspricht, ist vollkommen klar: Unterweger war’s.

"Schmalpickter" Mörder als cooler Lebemann
Filmdreharbeiten, "JACK", Jack Unterweger

Wie positionieren Sie sich dazu mit Ihrem Film?

Mir geht es nicht um eine neuerliche Resozialisierung Jack Unterwegers. Mir geht’s um die Frage: Warum tun wir uns so schwer, wenn wir einmal festgeschrieben haben, wie das Böse aussieht, das zu verschieben und noch einmal nachzuschauen? Damals gingen alle davon aus, dass der Indizienprozess in die zweite Instanz gehen würde. In Österreich wurden erstmals DNA-Analysen verwendet, die aber noch nicht ausgereift waren. Zu der Zeit gab es in den USA den O.J.-Simpson-Prozess. Er wurde freigesprochen, weil es nur einen DNA-Beweis gab. Dabei war man in den USA mit den Analyseverfahren schon viel weiter.

"Schmalpickter" Mörder als cooler Lebemann
Sie inszenieren "Jack" als dandyhaften Frauenhelden mit gewählter Sprache, Tattoos und auffälliger Kleidung. Wie entgeht man der Gefahr der Ästhetisierung des Verbrecherischen?

Die Geschichte von jemandem zu erzählen, der zum Star wird und dann wieder fällt, wäre unglaublich uninteressant, wenn man nicht einen gewissen "Starshine" um ihn herum aufbaut.

Sie haben Unterweger nach seiner Entlassung selbst für Radioreportagen getroffen. Wie haben Sie ihn erlebt?

Ich habe ihn als höflichen, korrekten Typ kennengelernt, er war schon eine interessante Erscheinung. Mein "Jack" sieht aber besser aus, ist besser gekleidet und smarter, als Unterweger es je war.

Wie konnte Unterweger für die Kulturszene so interessant werden, dass man sich auch in Petitionen für ihn eingesetzt hat?

Da herrscht ein gewisses Missverständnis. Er war nur ein Symbol dafür, dass man sich für eine Strafrechtsreform eingesetzt hat und Resozialisierung stärken wollte. Er hat im Gefängnis in Eigeninitiative eine Literaturzeitschrift herausgegeben. Daher war für viele klar: Einer, der so viel aus dem Nichts aus sich gemacht hat, soll unterstützt werden. Dann war da noch die High Society, die ihn als eine Art Hofnarr verwendet hat. Es gibt immer wieder Leute, die auftauchen, eine Zeit lang gut für die Unterhaltung sind, und wenn sie’s nicht mehr sind, wirft man sie wieder weg. Unterweger hat 15 Jahre Gefängnis ganz gut überstanden und wohl gedacht: Jetzt steht mir alles offen. Aber er hat nicht bedacht, dass er die Regeln außerhalb des Gefängnisses überhaupt nicht kannte.

Er trug weiße Anzüge, fuhr einen Ford Mustang: Anfang der Neunziger wurde Jack Unterweger zur schillernden Medienfigur. 1950 als uneheliches Kind einer Wienerin und eines US-Besatzungssoldaten in der Steiermark geboren, wuchs er im Trinkermilieu auf. 1976 wurde er für den Mord an einer 18-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt. Unterweger schrieb seine Häfen-Erfahrungen nieder („Fegefeuer“). 1990 wurde er auf Bewährung entlassen.

Als resozialisierter „Häfenpoet“ ging er auf Lesetour. Zeitgleich begann eine Mordserie an Prostituierten, die mit ihrer Unterwäsche erdrosselt wurden. 1992 erfolgte ein Haftbefehl. Auf der Flucht wurde Unterweger in Miami gefasst. Im folgenden Indizienprozess wurde er 1994 wegen Mordes in neun von elf Fällen verurteilt. Wenige Stunden danach erhängte er sich in seiner Zelle. Das Urteil wurde wegen seines Todes nie rechtskräftig.

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