Irvin D. Yalom: Das letzte Buch

Irvin D. Yalom im Garten seines Hauses in Palo Alto
Der weltberühmten Psychiater erinnert sich. Er war immer auch Geschichtenerzähler.

Viktor Frankl war wütend. Der österreichische Psychiater war auf Besuch bei seinem amerikanischen Kollegen Irvin D. Yalom in Kalifornien, als das Au-pair-Mädchen weinend die Treppe gelaufen kam: Frankl habe sie beschimpft. Wieso denn?

Er wollte Tee, sie servierte ihn in einer gewöhnlichen Keramiktasse und nicht in edlem Porzellan.

Es ist immer beruhigend zu erfahren, dass jeder ... Schwachsstellen hat.

Fast ein Freund

"Wie man wird, was man ist" ( = Becoming Myself) ist das letzte Buch, das auf Yalom gewartet hat. Dessen ist er sich sicher.

Yalom ist 89.

"Ich habe keine Bücher mehr im Hinterkopf, die geschrieben werden wollen."

"Wie man wird, was man ist" sind seine Memoiren.

Der weltberühmte Psychotherapeut und Geschichtenerzähler, dessen Roman "Und Nietzsche weinte" 2009 in 100.000 Exemplaren als Gratisbuch der Stadt Wien verteilt wurde, macht einen Schlusspunkt hinter dem Satz von Nietzsche:

"War DAS das Leben? Wohlan! Noch einmal!"

Es sind meist sehr positive Erinnerungen: Je besser wir uns kennen, desto besser wird das Leben. Irvin D. Yalom – Sohn russisch-jüdischer Einwanderer – kennt sich gut: 700 Stunden lag er selbst auf der Couch.

Danach wusste er, klassische Psychoanalyse ist nichts für ihn. Er wollte nicht bloß Fragen stellen. Sondern Antwort geben. Gleichberechtigter Partner sein, fast ein Freund seiner Patienten (das ist sein Wort: Patienten).

Gefühle wollte er zeigen, auch als Therapeut und sowieso als Schriftsteller – mehr Lob als von einem Freund kann er nicht mehr bekommen: Yalom schreibe wie ein Engel über den Teufel, von dem wir besessen sind.

Die Memoiren sind Begegnungen mit seinem jüngeren Ich. Er denkt an Reisen und Träume und an Patienten und kommt weit zurück, bis zur peinlichen Mutter, bis zum früh verstorbenen Vater, einem Lebensmittelhändler, und bis zum Spott, den er als kleiner Bub für ein Mädchen übrig hatte: Das hat ihm früh leidgetan. Das hat später dazu geführt, mit viel Empathie durchs Leben zu gehen.

Der Autor führt mit sich Therapiegespräche – aus denen die Leser den Gewinn ziehen können, wie man Vergangenes zum eigenen Wohl rekonstruiert.

... und wenn Irvin D. Yalom auch vielen Menschen ihre Todesangst genommen hat – er ist so ehrlich, um am Ende festzustellen:

Es erschüttert ihn selbst immer noch, dass wir alle nur einen kostbaren, gesegneten Augenblick unter der Sonne haben.

Irvin
D. Yalom:

„Wie man wird, was man ist“
Übersetzt von
Barbara von Bechtoldsheim.
Verlag btb.
448 Seiten.
25,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

Kommentare