Ex-Staatsoperndirektor Ioan Holender: "Nein! Dieser blöde Opernball!"
Der ehemalige Staatsoperndirektor wurde wegen des Opernballs oft zum Kanzler zitiert. Und er weiß mittlerweile: Dass der Ball Millionengewinne machen würde, ist ein Irrglaube.
Der Opernball war Ioan Holender, von 1992 bis 2010 Direktor der Staatsoper, immer ein Dorn im Auge. Und über die Organisatorinnen konnte er sich maßlos ärgern.
KURIER:Anfangs, ab dem Herbst 1991, haben Sie die Staatsoper gemeinsam mit Eberhard Waechter ...
Ioan Holender: Alle waren gegen mich, aber er hat gesagt, er macht das nur, wenn man mich auch nimmt. Damals war die Ernennung eines Staatsoperndirektors noch eine Bundeskanzlerangelegenheit. Das hat sich sehr verändert.
Ab April 1992 waren Sie allein zuständig. Bestand Ihre Aversion gegen den Opernball von Anfang an? Oder hat sich die entwickelt?
Den ersten Opernball habe ich nicht miterlebt. Weil meine Frau in der Nacht ein Kind bekam. Daher war nur Waechter auf dem Ball. Er stand ihm meinungslos gegenüber. Aber ich habe mir schon bald erlaubt, die Frage zu stellen: Warum wird in einem Institut für Kultur, das vom Steuerzahler mit vielen Millionen – gegenwärtig mehr als 76 Millionen Euro – erhalten wird, ein Ball für reiche Leute veranstaltet? Eine Loge kostet dieses Jahr 24.500 Euro, der Eintritt pro Person 385 Euro. Und es gibt mehrere Schließtage, um aus dem Theater- einen Ballsaal zu machen. Also habe ich gefragt: Warum? Zudem stand in meinem Vertrag kein Wort vom Opernball.
Was hat man Ihnen geantwortet?
Dass der Ball einen Millionengewinn macht, also von Vorteil für die Oper ist. Und dann habe ich in Kärnten einen patenten Veranstalter, Hannes Jagerhofer, kennengelernt. Ich erzählte ihm von meinem Frust. Er sagte: „Geben Sie mir den Ball! Ich zahle, was Sie wollen!“ Ich sagte: „Super!“ Wir haben verhandelt, aber Rudolf Scholten, damals Generalsekretär der Bundestheater, war dagegen. Die Sache kam zum Kanzler. Und Franz Vranitzky sagte: „Lassen Sie den Jagerhofer sein Beachvolley machen, den Opernball machen Sie!“ Also: Ich musste.
Lotte Tobisch war damals die Organisatorin. Als Nachfolgerin bestimmten Sie Elisabeth Gürtler vom Hotel Sacher. Warum?
Ich kannte sie über den Schauspieler Helmuth Lohner, mit dem sie verheiratet war. Und sie kannte alle in der Gesellschaft. In der SPÖ hatte man Bedenken. Elisabeth Gürtler war ja eine reiche Bürgerliche. Deshalb musste ich im Kanzleramt antanzen. Aber Viktor Klima sagte: „Das ist Ihre Entscheidung!“
Sie wollten einen Ball der Oper.
Daher habe ich Künstler eingeladen, alle, die kulturell wichtig waren in Wien. Und es gab einen Einzug, an der Spitze Elisabeth Gürtler, Seiji Ozawa, mein Musikdirektor, und ich. Oben, in der Mittelloge, war die Regierung. Wir sind vorbeispaziert. Aber dann, im Jahr 2000, kam es zur Koalition von Schwarz-Blau. Jörg Haider war zwar nicht in der Regierung. Aber wenn er trotzdem zum Opernball käme und wir uns vor ihm verneigen müssten? Also: Das ging nicht. Was machen wir jetzt? Wir haben den Einzug dann abgeblasen. Seither gibt es ihn nicht mehr. Ein wirklicher Künstlerball: Das ist mir nicht gelungen.
Auf Einladung von Ozawa war ich in Japan dabei, als man 6.000 Kindern in einer Sporthalle eine Oper von Verdi präsentierte. Diese Kinderfassung war fantastisch! Etwas Ähnliches wollte ich auch machen! Im leeren Zuschauerraum nach dem Ball! Wenn Sie mich fragen, was das Wichtigste ist, was ich gemacht habe, dann würde ich sagen: Das! Aber das durchzusetzen, war nicht einfach. Denn bis 2002 gab es am Abend nach dem Opernball immer eine Ballettaufführung. Die brachte Einnahmen.
Die „Zauberflöte“ hingegen sollte gratis sein?
Ja! Im Bundestheaterverband schüttelte man den Kopf: „Gratis?“ Ich musste also zum Kanzler. Und Wolfgang Schüssel sagte: „Machen Sie, was Sie für richtig finden.“ Ich habe daher meine Kompetenzen weit überschritten – und den Ballettabend abgesagt. Ich wollte die „Zauberflöte“ auf höchstem Niveau. Denn sie war der allererste Kontakt der Kinder mit der Oper. Die Philharmoniker haben gratis gespielt – und der Chef hat dirigiert. Also Ozawa. Elisabeth Gehrer, die damalige Unterrichtsministerin, ist aufgesprungen: „Machen Sie das doch auch für die Kinder aus den Bundesländern!“ Sie hat Autobusse organisiert. Und so kamen wir zu zwei Vorstellungen mit je 3.500 Kindern, also 7.000 Kinder an einem Nachmittag. Diese einstündige Einführung in die „Zauberflöte“ wiederholt sich jetzt zum 20. Mal! Bisher haben 140.000 Kinder sie gesehen.
Und was war das Schlimmste?
Der ORF hat sich immer so aufgespielt, als ob ihm die Oper gehören würde. Die agierten über meinen Kopf hinweg. Ich nahm ihm schließlich den Teesalon weg: Er war nur mehr für die Mitglieder der Staatsoper. Dort durfte niemand anderer rein! Auch nicht US-Außenministerin Madeleine Albright!
Mit Elisabeth Gürtler waren Sie irgendwann unzufrieden.
Die Stimmung im Haus war nicht gut, der Betriebsrat gegen sie. Die Gürtler trat zurück. Wen holen? Man sagte mir: „Gehen Sie zum Christian Konrad!“ Also zum damaligen Raiffeisen-Chef. Na gut. Er sagte nur: „Die Desi!“ Ich verstand nicht. „Sie wissen doch, wer das ist?“ Ich verneinte. „Sie kennen nicht einmal Desirée Treichl-Stürgkh? Ihr Mann ist ein wichtiger Bankdirektor.“ Ich dachte mir: Soll sein!
Ihr erster Opernball war 2008.
Desirée ließ einen Eingang bauen. Plötzlich waren der Rote Teppich und die Hauptstiege das Wichtigste. Aber sie hatte auch eine gute Idee. Denn bis dahin hat der Elmayer die Polonaise einstudiert. Seither macht das jedes Jahr eine andere Tanzschule – auch aus den Bundesländern. Das ist demokratisch.
Wie standen Sie zu Richard Lugner und seinen gemieteten Stars?
Es gab immer einen Kampf um die Logen. Und man wollte den Lugner nicht. Ich fragte: „Warum?“ – „Der ist doch unmöglich!“ Auch Desirée sagte: „Der Lugner muss weg!“ Aber ich war dagegen. Ich schicke niemanden weg, der eine Loge kauft und einen prominenten Gast mitbringt. Und es ging immer um die Frage, wer kommt. Irgendwann hab’ ich mir gedacht: Ich bring ein Lebewesen, das noch nie da war. Ein Pferd! Der Ball 2007 war vor der Premiere von „Manon“ – und in der Inszenierung kam Anna Netrebko mit einer Kalesche nach Amiens. Ich dachte mir: Gut, mache ich Werbung dafür! Ich wollte mich auch über die Leute lustig machen. Alle waren dagegen: „Ein Pferd auf dem Opernball? Ausgeschlossen!“
Sie haben sich durchgesetzt.
Ja. Der Kutscher meinte, dass er das Pferd wegen der vielen Menschen und den Blitzlichtern führen müsse. Aber jemand musste auf dem Kutschbock sitzen. Und Anna – sie trat natürlich gratis auf – meinte: „Das machen Sie!“ So kam es. Man sagt, diese Darbietung sei der Höhepunkt in der Geschichte des Opernballs gewesen.
Sie hat Ihre Eitelkeit befriedigt.
Ich war vieles in meinem Leben, Kutscher nie. Aber ja: Das hat sogar mir gefallen. Bei der allerletzten Eröffnung 2010 bin ich mit dem Ensemble aufgetreten. Ich habe aber meinen Text abgeändert: „Ich muss nie mehr herkommen!“ Und ich bin auch nicht mehr dort gewesen. Frack anziehen? Nein! Dieser blöde Opernball!
Hat er überhaupt nennenswerte Gewinne gebracht?
Ich hab’s geglaubt. Aber ich habe das nicht geprüft. Weil ich dem Opernball ohnedies nicht entkommen wäre. Auch wenn er erst seit 2015 im Bundestheater-Organisationsgesetz als Aufgabe verankert ist. Erst jetzt habe ich mich mit dieser Frage beschäftigt. Und erhielt eine erstaunliche Auskunft.
Welche denn?
Sie müssen sich das vorstellen: Man braucht 30 Stunden für den Umbau zum Ballsaal und 21 Stunden für den Rückbau. 80 Tieflader-Transporte, ein Auftragsvolumen von gesamt und 1,5 Millionen Euro für 50 Firmen. Im Endeffekt halten sich die Einnahmen und die Ausgaben – jeweils rund vier Millionen Euro – die Waage. Das sagt Verwaltungsdirektorin Petra Bohuslav. Denn der Opernball ist ein gemeinnütziger Verein. Also: Die Staatsoper macht mit dem Opernball keinen Gewinn. Das bestärkt mich in meiner Ansicht: Ein Ball hat in der Oper nichts zu suchen.
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