Starfotograf Anton Corbijn: „Vielleicht fühlt sich Zeitlosigkeit alt an“

Starfotograf Anton Corbijn: „Vielleicht fühlt sich Zeitlosigkeit alt an“
Der Fotograf und Filmemacher, der mit seiner Arbeit für Depeche Mode, U2 und andere Stars das Gesicht der Popkultur prägte, erklärt die Ursprünge seiner Bildsprache

Bis 29. Juni stellt das Kunstforum Wien das Werk von Anton Corbijn (*1955) ausgiebig vor. Der Niederländer, der als Sohn eines evangelischen Pastors auf einer Insel aufwuchs, wurde mit einer oft düsteren Schwarz-Weiß-Ästhetik bekannt, die Künstlern der Pop- und Rock-Szene Schwere und Ernsthaftigkeit verlieh.

KURIER: Ich war etwas überrascht, dass die religiöse Bildsprache in der Wiener Ausstellung einen solch zentralen Platz einnimmt. Der große Saal der Schau – mit Engelsfiguren und der Gegenüberstellung von Kreuzen und einem Teufel mit Dreizack – wirkt fast wie eine Kirche!

Anton Corbijn: Es ist sicher auch der Zugang der Kuratorin, Lisa Ortner-Kreil. Aber manchmal fallen die Dinge auch einfach in eine bestimmte Form. Ich versuche nicht bewusst, Bilder mit religiöser Symbolik zu schaffen – als ich Dave Gahan (Sänger von Depeche Mode, Anm.) 1993 fotografierte, geschah das nach einem Konzert, als er einfach erschöpft war. Ich realisierte erst später, wie seine Pose in diesem Moment interpretiert werden konnte.

Starfotograf Anton Corbijn: „Vielleicht fühlt sich Zeitlosigkeit alt an“

Sie zeigen aber auch Fotos von Grabfiguren, die bereits 1982 entstanden. Die Band Joy Division, die für Ihre Karriere zentral war, nutzte solche Aufnahmen zwei Jahre zuvor für Plattencovers.

Ja. Aber meine Bilder entstanden vor einem anderen Hintergrund. Ich machte damals eine Scheidung durch, war in einer sehr dunklen Phase meines Lebens. Und ich hatte immer wieder Fotos von Friedhöfen gemacht – übrigens auch hier in Wien, mit der Band Ultravox, für die ich auch ein Video drehte. Die Figuren bewegten sich nicht, das war von Vorteil.

Starfotograf Anton Corbijn: „Vielleicht fühlt sich Zeitlosigkeit alt an“

Es wurde immer wieder gesagt, dass Ihre Bilder eine zeitlose Qualität aufweisen. War das etwas, auf das Sie immer bewusst abzielten?

Ja, ich war mir immer bewusst, dass ich gerne Bilder schaffen möchte, die die Zeit überdauern. Und als ich hier in der Ausstellung den Raum mit den Bildern von Miles Davis oder Joy Division sah, hatte ich das Gefühl, dass einige wirklich speziell sind. Aber lange Zeit glaubte das sonst niemand. Eine Plattenfirma in Holland verbot ihren Künstlern sogar, mit mir zu arbeiten – sie sagten, es werde alles immer zu dunkel, das sei Zeitverschwendung.

Legen sich aus Ihrer Perspektive mit der Zeit neue Bedeutungen über Ihre Bilder? Was denken Sie, wenn Sie heute ein Bild von Depeche Mode von 1981 sehen?

Die Bilder haben definitiv ein Eigenleben, für das ich nicht mehr verantwortlich bin. Eines der besten Beispiele ist die Aufnahme, die ich von der Band Joy Division in einer U-Bahn-Station machte. Niemand mochte das Bild, weil man die Gesichter nicht sah, nur Sänger Ian Curtis schaute in die Kamera. Als er später Selbstmord beging, sahen die Magazine in meinem Bild eine Vorahnung – aber ich hatte überhaupt keine Kenntnis davon.

Wie nahe kommen Sie an die Menschen heran, die Sie porträtieren? Man spürt Vertrautheit, aber auch die starke Persönlichkeit der Leute, die genau wissen, wie sie wirken.

Es kann ein Hindernis sein, Menschen zu gut zu kennen, weil man sie dann nicht enttäuschen will. Aber dann ist es wieder wunderbar, mit Menschen wie Nick Cave befreundet zu sein, weil man den ganzen Prozess des Kennenlernens nicht durchmachen muss. In diesem Sinn hilft Freundschaft sehr.

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Aber steht Ihnen Ihr Ruf nicht auch manchmal im Weg? Wenn ich vor Ihrer Kamera sitze, habe ich eine gewisse Vorstellung davon, wie mein Bild aussehen wird.

Ja, und das ist ein echter Mist! Ich versuche, das zu umgehen, etwa, indem ich meine Rolle bewusst verändere. Als ich begann, Maler und Malerinnen zu fotografieren, hatten die keine Ahnung, wer ich war.

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Berühmte Leute sind heute von einer großen Menge von Menschen und Beratern umgeben. Wie gehen Sie mit dem um, was man „image control“ nennen könnte?

Ja, es ist schwieriger geworden, alles wird retuschiert, es ist nicht dasselbe wie in den 1970ern, als ich einfach grobe, dunkle Bilder machen konnte. Aber die Leute sollten auf so etwas vorbereitet sein. Es wäre gut, wenn etwa Beyoncé ein ordentliches Bild von sich hätte.

Sie hat keines?

Ähm. Interessante Bilder, aber keine ordentlichen. Ich habe 2005 Fotos mit ihr gemacht, die eher in einem Reportagestil gehalten waren.

Was hat sich in diesen 20 Jahren in der Imageproduktion verändert? Alles ist Werbung! Ich selbst verändere manchmal auch Dinge, weil es für die Leute, die ich fotografiere, besser aussieht. Das, was Sie hier im Kunstforum sehen, ist das echte Zeug. Ausstellungen sind für mich heute die beste Art, meine Arbeit zu zeigen. Als die Leute angefangen haben, Filme am Handy anzusehen, hat das auch die Art und Weise verändert, wie Filme gemacht werden. Es ist nicht gut, es vereinfacht alles.

Ist die Melancholie in ihren Bildern auch eine Form der Sehnsucht nach einer anderen Zeit?

Vielleicht. Melancholie liegt einfach in meinem Naturell. Ich hoffe, es gibt eine zeitlose Qualität in den Arbeiten. Aber vielleicht fühlt sich Zeitlosigkeit heute ja auch wie etwas Altes an.

  • Die Ausstellung „Anton Corbijn: Favourite Darkness“ im Kunstforum zeigt bis 29. 6.  Bilder und Videos aus allen Schaffensperioden von des niederländischen Künstlers
  • Der Katalog - eher als eigenständiges Fotobuch angelegt - kostet 39 EUro. 
  • Im Gartenbaukino läuft eine Retrospektive von Corbijns Kinofilmen.

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