Interview mit Farin Urlaub: "Die Umweltsituation macht mir Angst"
KURIER: "Hell", Ihr erstes Album seit 2013, erscheint kommenden Freitag. Man hat aber schon voriges Jahr ein Album von Ihnen erwartet, nachdem Sie beim Nova-Rock zum Live-Comeback angetreten sind . . .
Farin Urlaub: Es glaubt uns zwar keiner, aber beim Nova-Rock haben wir tatsächlich noch nicht gewusst, ob wir noch einmal ein Album machen werden. Damals wollten wir wirklich nur wissen, wie es sich anfühlt, mit der Band zu arbeiten. Denn wir wollten nur dann wieder ins Studio gehen, wenn wir alle es unbedingt wollen, und nicht einer doch lieber zuhause sitzt.
Sie haben sehr lange Pause gemacht. Wer wollte da lieber zuhause sitzen?
Das Problem war, dass die letzte Tour nicht schön aufgehört hat. Da war nicht so viel Zuneigung innerhalb der Band, wie sonst, wir haben aber nicht darüber geredet. Es war so ein typisches Männerding: Die anderen beiden sind doof, nur ich mache alles richtig! Eigentlich ist es Bela zu verdanken, dass wir jetzt wieder losgelegt haben. Er hat - nachdem wir eineinhalb, zwei Jahre unsere Wunden geleckt hatten - gesagt, lass uns mal treffen und reden. Ich sagte erst: „Nein, wieso denn?“ Er hat aber nicht locker gelassen. So haben wir uns getroffen und geredet, und das dann auch regelmäßig gemacht. Dann kam das Anti-Nazi-Konzert in Jamel. Bela sagte: "Ich möchte dort spielen, aber nur, wenn du mitmachst". Da sagte ich: "Okay, aber nur wenn Rod auch mitmacht". Und der wollte auch. Danach haben wir uns aber noch zwei Jahre bedeckt gehalten und erst dann gesagt, wir probieren einmal, wie es ist, zusammen im Tourbus zu sitzen. Deshalb spielten wir eine Club-Tour und ein paar Festivals wie das Nova-Rock. Dafür wollten wir aber zumindest zwei neue Songs haben und waren dann auch schon im Studio. All das hat sich aber sehr gut angefühlt. Die Pause hat uns gut getan. Der Respekt und die Zuneigung sind zurückgekehrt.
Warum ist dieser Respekt abhandengekommen?
Am Ende war es für mich nur der Mangel an Kommunikation. Alles andere will ich jetzt nicht breittreten, das soll bandintern bleiben. Es gibt manchmal Beziehungen, die sind toll, aber irgendwann schätzt man sie nicht mehr genug und braucht Abstand.
Sie sagen, das Zusammenkommen ist Bela zu verdanken. Von sich aus hätten Sie nicht irgendwann wieder den Kontakt zu den anderen gesucht?
Nein, ich bin der größte Starrkopf, den man sich vorstellen kann. Ich bin immer der Meinung, dass ich Recht habe und die Fehler bei den anderen liegen. Was natürlich dumm ist, denn bei drei Leuten hat jeder ein Recht auf seine Meinung und ohne Fehler einzugestehen kommt man nicht zusammen. Deshalb bin ich Bela auch sehr, sehr dankbar. Er ist der empathischste in der Band. Rod und ich denken eher: Dann halt nicht.
Wäre Ihnen die Band nicht abgegangen?
Ich hatte weit über 30 Jahre mit den Ärzten. Wir haben alles erlebt, was wir uns vorstellen konnten, und noch zehn Mal mehr. Irgendwann muss man auch loslassen können. Und ich hatte losgelassen. Für mich war es absolut okay, nie wieder öffentlich Musik zu machen. Auch nicht mit dem Racing Team, ich wollte ein ganz anderes Leben führen.
Was hätten Sie gemacht? Als passionierter Weltreisender, weitere Fotobücher von Ihren Reisen?
Nein, ich habe noch ein paar andere Interessen, die mich erfüllen und mir sehr viel Spaß machen. Über die will ich aber jetzt nicht reden. Aber sie sind unabhängig von meiner Reiselust. Gut, ohne Reisen möchte ich nicht alt werden und sterben. Gerade diese Corona-Zeit ist für mich extrem anstrengend, weil ich nicht reisen kann. Danach habe ich schon Sehnsucht. So, dass ich neulich sogar meine Garage gekärchert habe . . . ha ha ha ha….. weil irgendetwas muss man ja tun.
Sie reisen aber ohnehin oft in Länder, in denen es nicht ungefährlich ist. Sie sind fit und vermutlich würde Ihnen das Virus nicht viel anhaben . . .
Es geht aber darum, dass ich nicht weiß, ob ich wieder zurückkommen kann. Ich kannte Leute, die in Marokko gestrandet sind. Die hatten im Gegensatz zu mir normale Jobs, waren zweieinhalb Monate in Marokko und hatten keine Möglichkeit, rauszukommen. Ich bin sehr gerne zu meinen eigenen Bedingungen unterwegs und lasse mich treiben. Aber wenn jemand sagt, du darfst das Land nicht verlassen, und dann bin ich vielleicht noch in einem Land, in dem ich mich gar nicht so wohl fühle, wo ich nur aus Neugier hingefahren bin . . . nein, danke! Ich habe dabei keine Angst um mich, aber ich habe hier in Berlin auch Freunde und Leute, die mich sehen wollen.
Am Beginn von „Hell“ steht ein Trap-Intro von Rod. Soll das andeuten, dass dieses Album musikalisch viel breiter ist, als wir es bisher von Die Ärzte gewohnt waren?
Genau. Die Leute sollen denken, nein, wo sind denn meine Ärzte hin? Damit wir diese Energie reinbringen können, die wir haben wollen, muss die Musik uns selbst begeistern und neugierig machen. Und dann machen wir halt Sachen wie diesen Jazz-Rock-Part in „Woodburger“, weil wir so etwas noch nie gehabt haben.
In dem Song postulieren Sie mit drastischen Worten, dass alle Politiker schwul werden sollen, damit Sie lockerer und offener werden. Erwarten Sie, dass der Song indiziert wird?
Nein, warum? Da gibt es nichts, was indizierenswert wäre. Das spielt sich nur in der Fantasie ab. Das ist wie bei der Duschszene in Hitchcocks „Psycho“. Da sagte die Zensurbehörde auch, man sieht, wie eine Frau erstochen wird. Aber man sieht nur eine Hand mit einem Messer, dann einen Fuß in der Dusche, wo Blut dazukommt. Man sieht nicht, dass das Messer jemanden ersticht. Genauso muss man Texte schreiben, wenn man nicht indiziert werden will.
Im Country-Song „Liebe gegen Rechts“ ist dieses Thema sehr lustig und pointiert aufgelöst. Ihr voriges Album kam 2013 raus. Dazwischen war die Flüchtlingswelle von 2015. Haben Sie das Gefühl, dass die Ausländerfeindlichkeit damit jetzt wieder ärger geworden ist?
Ja, es ist wieder schlimmer geworden. Das liegt auch am Internet, denn das macht Leute zu Scheinriesen. Früher war ein Hass-säender Spinner in seiner Nachbarschaft isoliert. Jetzt weiß er über das Internet, es gibt in ganz Deutschland noch 10.000 Leute, die so denken wie er, und fühlt sich dadurch viel stärker. Das gibt solchen Leuten das Gefühl, eine moralische Berechtigung zu haben. Es sind meiner Meinung nach immer noch viel zu viele, die so denken, aber in Bezug auf die Gesamtbevölkerung zum Glück noch wenige. Aber sie blasen sich gerade auf und suchen die Konfrontation. Deshalb versuchen wir mit dem Lied, ihnen die Luft rauszulassen.
Bei „Ich am Strand“ bekommt man erst das Bild, dass Sie in alten Fotoalben blättern, dann aber merkt man, dass von einer gescheiterten Existenz die Rede ist. Wie kamen Sie darauf?
Ich habe mich selbst dabei ertappt, dass ich einen Obdachlosen gesehen habe und ihn nur als Obdachlosen wahrgenommen habe. Als jemanden, der kein Zuhause hat, hier wohnt, sich länger nicht geduscht hat und all diese Stereotypen. Und dann dachte ich, es ist total gemein und widerlich, dass ich ihm nicht zugestehe, dass er ein Leben hatte, bevor es ihn aus der Bahn geworfen hat. Deshalb habe ich mit dieser Fotobuch-Idee ein Leben konstruiert. Und bis man in der letzten Strophe merkt, er ist gescheitert, hat man sich über die Fotobuch-Erinnerungen schon mit ihm angefreundet. Das war mir total wichtig. Um vor Augen zu führen - auch mir selbst -, wie dicht man vielleicht selbst daran vorbei geschrammt ist. Ich hatte das Glück, dass ich Musik machen konnte, und wir damit Erfolg hatten. Aber das war überhaupt nicht abzusehen. Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt, und wenn das schiefgegangen wäre, wäre ich jetzt vielleicht in seiner Position.
War es wirklich nur Glück, das Sie so erfolgreich gemacht hat?
Mindestens zu 90% war es Glück.
Wo bleibt das Talent?
Ich würde sagen, das waren 2%. Und zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, war 8%. Wenn wir jetzt als Band anfangen würden, würde uns in 20 Jahren immer noch keiner kennen. Denn wo sollten wir spielen? Wenn Corona vorbei ist, gibt es keine Clubs mehr. Wenn wir den Weg gehen müssten, den man dann vermutlich gehen muss, nämlich über das Fernsehen bekannt zu werden, kriegst du alles vorgeschrieben und kannst nicht deine eigenen Songs spielen. Unser Werdegang ist heute nicht mehr nachproduzierbar. Da waren so viele glückliche Zufälle, die uns in die Karten gespielt haben.
Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, so viel Glück gehabt zu haben und so erfolgreich zu sein?
Ja, ich hatte das. Ich hatte eine Phase, da dachte ich, das ist viel zu viel Glück, zu viel Geld, das habe ich nicht verdient. Denn ich kannte so viele Musiker, die genauso hart oder noch härter gearbeitet haben, die aber nie dieses Glück hatten. Das fand ich ungerecht. Aber mein bester Freund ist in der Wirtschaft und der sagte damals: „Nein, du hast das verdient! Ihr habt das niemandem weggenommen. Ihr habt alles auf eine Karte gesetzt, habt euch etwas getraut und seid dabeigeblieben, obwohl es sehr unwahrscheinlich war, dass es soweit kommt, wie es gekommen ist.“ Und das stimmt: Wir haben nie jemanden verarscht oder übervorteilt. Wir haben etwas angeboten, und offenbar wollten das viele Leute haben. Und ich kann etwas Sinnvolles mit dem Geld anfangen, weshalb ich dafür sehr dankbar bin.
Bezieht sich der Song „Wer verliert, hat schon verloren“ auf Ihre eigene Karriere?
Ja, ein bisschen, aber er geht auch weiter, denn einen Text nur über uns zu machen, wäre mir zu langweilig. Ich hatte uns aber schon mit einem lachenden Auge im Hinterkopf. Zum Beispiel, wie wir uns in den 80ern benommen haben . . .
Was waren die schönsten Momente in dieser frühen Phase der Die Ärzte?
Dass wir sie überlebt haben . . .
Warum? Speziell Sie haben ja nie Drogen genommen und trinken auch keinen Alkohol . . .
Wir haben anderen totalen Schwachsinn gemacht. Motorrad fahren ohne Helm und solche Sachen.
Waren Sie nicht ein Außenseiter in der Punk-Szene, weil Sie keinen Alkohol getrunken haben?
Ich habe damals Vollmilch getrunken. Das hat sich herumgesprochen und bald hatten sie diesen Standardgag, dass sie sagten: „Wir haben Milch für dich!“ Es war aber Batida de Coco. Mäßig lustig. Ich bin aber nie dafür angefeindet worden. Es wäre mir auch egal gewesen. Wenn mich jemand darüber definieren will, wie viel Bier in mich reinpasst, will ich mit dieser Person nicht reden. Aber das ist nie passiert. Es war ziemlich schnell okay: Farin trinkt halt nicht.
Sagen Sie deshalb in dem Song „Warum spricht niemand über Gitarristen“, dass Gitarristen langweilig sind?
Genau, ich bin einer, ich kenne mich damit aus! Aber eigentlich ist der Text entstanden, als ich bei jemandem zu Besuch war, der den Spiegel liest. Der lag aufgeschlagen auf dem Tisch und ich las aus einem ungünstigen Blickwinkel die Schlagzeile: „Warum spricht niemand über Gitarristen“ Ich dachte sofort, was für eine geile Zeile. Mein Gehirn hatte da aber fehlende Buchstaben ergänzt. Da stand nämlich eigentlich: „Warum spricht niemand über Gebärneid ?“.
In dem Song „Abschied“ sprechen Sie das Umweltthema an und zeichnen das Bild, dass sich der leidende Planet Erde, von den lästigen Menschen befreit.
Diese Situation macht mir tatsächlich Angst. Ich glaube, dass alles viel schlimmer wird, als wir es uns vorstellen können. Ich werde das nicht mehr erleben, aber das ist der Grund, warum ich keine Kinder in die Welt gesetzt habe. Wir, die Menschheit, sind nicht in der Lage, zu überwinden, was die Engländer so schön mit „the tragedy of the commons“ bezeichnen. Das bedeutet zum Beispiel: Wir wissen, dass die Meere überfischt sind. Aber jeder einzelne Fischer denkt, wenn ich jetzt noch drei Tonnen Fische mehr rausnehme, macht das keinen Unterschied. Das ist dann die Tragödie. Wir bräuchten jemanden, der sagt, das geht ab jetzt nicht mehr und dafür drakonische Strafen verhängt. Das macht aber keiner. Denn die Menschen sind keine Ameisen-Kolonie. Jeder einzelne von uns ist egoistisch, feige und gierig. Wir machen alle massive Fehler, manche mehr als andere, aber keiner von uns lebt perfekt. Ich mit meinen Flugreisen natürlich erst recht nicht. Die habe ich deshalb jetzt aber eh schon massiv eingeschränkt. Aber auch wenn jeder dem Planeten nur ein bisschen schadet, in dieser riesigen Masse an Menschen, die wir jetzt sind, ruinieren wir den Planeten. Die einzige Möglichkeit, ihn zu retten, ist, die Zahl der Menschen massiv zu verringern. Das soll laut Prognosen bis ungefähr 2080, 2100 auch passieren. Da sollen wir zwei Milliarden Menschen weniger werden.
Durch Umweltkatastrophen?
Nein, durch meine Lieblingswaffe im Kampf gegen alles, die Bildung. Denn gebildete Frauen bekommen weniger Kinder - egal in welcher Kultur. Und wenn Mädchen zur Schule gehen, sind sie danach nicht mehr die, die sieben Kinder gebären müssen, wie im Niger, sondern haben vielleicht nur ein Kind. Aber wenn ich beginne, über dieses Thema nachzudenken, wird das so frustrierend, dass ich damit aufhören muss. Denn wenn wir alle so leben würden, wie wir leben müssten, macht es keinen Spaß mehr.
Erst vor einem Jahr haben Sie Ihre Songs für Streaming zugelassen. Warum haben Sie das erst nicht gewollt und sich jetzt anders entschieden?
Das Argument dagegen ist, dass man unverschämt wenig Geld dafür bekommt, dass jemand sich deine kreative Arbeit anhören kann. Die Entlohnung dabei ist einfach unfair. Speziell wenn man aus der Verwöhnphase der 80er-, 90er- und Nuller-Jahre kommt, wo die Leute LPs und CDs gekauft haben. Aber wir können nicht sagen, ihr müsst Die Ärzte auf Vinyl oder CD hören, wenn so viele Leute diese Medien gar nicht mehr kennen, denn dann hören sie uns nie. Und wenn uns keiner mehr hört, haben wir als Künstler auch keine Daseinsberechtigung.
Aber gerade bei Ihnen kommt ja auch beim Streaming einiges zusammen, weil Sie sicher oft gestreamt werden . . .
Natürlich. Ich will mich auch nicht beschweren, und sagen, dass ich zu wenig verdiene. Es ging eher um ein Statement gegen das Prinzip, darum, auf das Problem aufmerksam zu machen. Aber es hat halt nichts genützt.
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