Belvedere: Klimts „Kuss“ ist kein toter Lenin

Belvedere: Klimts „Kuss“ ist kein toter Lenin
Direktorin Stella Rollig über Besuchermassen, Expansionspläne und die Wirksamkeit von Museen

Das Obere Belvedere zählte heuer bereits mehr als eine Million Besucher. Zwischen Weihnachten und Dreikönig wird der höchste Andrang des Jahres erwartet.

KURIER: Warum steht derzeit ein Zelt vor dem Schloss?

Stella Rollig: Aufgrund unseres neu erstellten Sicherheitskonzepts haben wir eine Kontingentierung eingeführt. Es dürfen sich etwa 900 Personen gleichzeitig im Oberen Belvedere aufhalten, an den besucherstärksten Tagen kann es zu Wartezeiten kommen. Wir wollten unseren Gästen nicht zumuten, im Freien zu stehen.

Aus der Diskussion um „Smart Cities“ weiß man, dass es mittelfristig fast überall Sensoren für alles Mögliche geben wird. Gibt es da bereits Anwendungen im Museumsbereich, etwa beim Massen-Management?

Da sprechen Sie Dystopien an. Ich habe einmal vor vielen Jahren den einbalsamierten Lenin am Roten Platz besucht, und da war eine gewisse Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben. Man durfte auch nicht stehen bleiben. Ich sehe nicht vor meinem geistigen Auge, dass das im „Kuss“-Saal so eingeführt wird. Sensoren sind als Abstandhalter vor den Bildern sowieso ein Thema, und die Besucherzählung findet statt – aber wir beobachten unsere Besucherinnen und Besucher nicht in der Weise, dass wir sie durch das Haus verfolgen. Allerdings haben wir gemeinsam mit der Uni Wien eine wissenschaftliche Untersuchung laufen, die das Besucherverhalten in Museumsräumen und vor einzelnen Bildern erforscht.

Wie läuft diese Untersuchung?

Da gehen freiwillige Probanden mit Eye-Trackern durchs Museum und werden danach interviewt. Das gibt uns auch kuratorische Anhaltspunkte, wie man einen Raum am besten einrichtet. Für mich spannend ist etwa der Umstand, dass es in Räumen bevorzugte Wände gibt. Gemälde, die an einer Fensterwand hängen, werden am wenigsten angesehen. Und Skulpturen sind oft Stiefkinder. Ich komme als Ausstellungsmacherin eher aus einer Schule, die sagt, es ist interessant, verschiedene Medien zu mischen. Jetzt habe ich das erste Mal gehört, dass in einem Raum, in dem Gemälde und Skulpturen zu sehen sind, die Skulpturen quasi ausgeblendet werden.

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Belvedere

Wie sieht die Besucherstruktur des Belvedere derzeit aus?

Über alle Häuser des Belvedere gesehen kommen 20 Prozent der Besucherinnen und Besucher aus dem Inland, 80 Prozent aus dem Ausland. Im Oberen Belvedere halten wir bei 90 Prozent Touristen und 10 Prozent Inländern. Die stärkste Ausländergruppe (17 %) wird von Südkoreanern ausgemacht, China ist noch nicht so stark, da sind aber große Zuwächse zu erwarten. Deutschland, Italien, und Nordamerika sind ebenfalls stark.

Das Belvedere ist als Museum für österreichische Kunst zuständig, zugleich ist Kunst international vernetzt. Wie legen Sie die Balance an?

Es ist schon im Gründungsstatut von 1903 festgehalten, dass das Belvedere österreichische Kunst mit internationalen Referenzwerken zeigen soll. Das ist aus meiner Sicht bis heute gültig. Wir wollen immer einen Schritt weiter gehen, die Perspektive verschieben – aber immer in einem geistigen und manchmal auch persönlichen Beziehungsgeflecht mit Österreich. Nächstes Jahr kommt etwa Monica Bonvicini ins Belvedere 21, eine Italienierin, die aber eine Generation von Künstlerinnen und Künstlern in Wien ausgebildet hat. Oder Wolfgang Paalen, der ungeheuer einflussreich war und viel über Emigrationskunst des 20. Jahrhunderts erzählen kann. Ich bin froh, dass das Belvedere als Sehenswürdigkeit auch die Freiheit hat, gegen die Erwartungen zu programmieren. Es muss nicht immer der Blockbuster sein, der vielleicht mit dem Haus nicht so viel zu tun hat.

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Die Kunst könnte helfen, den Wandel der Geschlechterverhältnisse zu reflektieren – doch erreicht sie die Menschen auch? Bei Donna Huanca im Unteren Belvedere geht es etwa (bis 6.1.) um Geschlechteridentitäten, doch die Resonanz ist überschaubar. Wenn Christian Ludwig Attersee ein Plakat für ein Skirennen präsentiert, gibt es riesige Aufregung.

Die Frage nach der Wirksamkeit begleitet uns ständig. Das Belvedere hat den Vorteil, dass ein sehr diverses Publikum kommt, und es ist kein Zufall, dass ich Donna Huanca in einer Zeit programmiert habe, wo daneben eine Egon-Schiele-Ausstellung läuft. Das Beispiel des Attersee-Plakats zeigt, dass etwas aus dem Bereich der Kunst auch größere Kreise ziehen kann. Wobei das Plakat ja nicht für den Kunstbereich gedacht war. Es ist der Entwurf eines Künstlers, der immer wieder die Grenzen zur angewandten Kunst überschreitet – wir werden das in einer Ausstellung zeigen – und der eigentlich im Umgang mit öffentlichen Bildern gewieft sein müsste.

Es gibt im Sommer 2019 auch ein Gastspiel des Belvedere in Salzburg. Wie weit ist die Idee, dort eine Dependance zu errichten, gediehen?

Die Ausstellung im Sommer ist Teil einer Reihe des Salzburg Museums, das regelmäßig befreundete Museen einlädt. Wir sind da in erster Linie Leihgeber. Mittlerweile hat es sich gefügt, dass es eine Art Auftakt zu unserer Salzburg-Präsenz ist.

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Wie kann man sich diese Präsenz vorstellen?

Wir haben die Neue Residenz, wo durch die Absiedelung von Büros und Infrastrukturräumen der Salzburger Landesregierung Räume frei werden. Es ist vertraglich noch in keiner Weise ausgestaltet, aber die Grundidee ist, dass das Belvedere – befristet oder unbefristet – diese Räume nützt. Wir haben einen Raumbedarf von 1500 m² angemeldet und möchten die Infrastruktur mit Garderobe, Kassa etc. gemeinsam mit dem Salzburg Museum haben. Natürlich muss das ein schöner, repräsentativer Auftritt sein. Dann sind wir auch bereit, aus unserer Sammlung schöne Werke dort hinzugeben, um dort eine Dauerausstellung einzurichten, flankiert von einer kleinen Wechselausstellung, die sich jährlich ändern soll. Wir denken an einen Parcours durch die österreichische Kunstgeschichte mit Berücksichtigung des Standorts Salzburg. Auch Klimt und Schiele werden Teil der Präsentation sein – das muss schon ein Bekenntnis sein. Dass wir Depotware hinschicken, wäre auch nicht in unserem Sinn, es ist ja für uns auch ein Schaufenster in der wichtigsten Tourismusstadt Österreichs.

Was ist der Zeithorizont?

Landeshauptmann Haslauer meint, dass 2022 oder ‘23 mit einer Eröffnung zu rechnen ist. Derzeit stehen bauliche Fragen im Mittelpunkt. Dann kommt die Kostenerhebung – es gibt noch keine finanziellen Vereinbarungen, aber wir sind guter Dinge und haben Signale aus Salzburg, dass es daran nicht scheitern soll.

INFO: Das Belvedere-Programm 2019

Im Dauerfeuer der Klimt-Schiele-Kokoschka-Würdigungen fand zuletzt der Umstand, dass die Kunst in Wien um 1900 auch stark von Frauen geprägt wurde, wenig Gehör. Das Belvedere  will das mit der Ausstellung Stadt der Frauen – Künstlerinnen in Wien 1900 – 1938 ändern und holt dazu rund 50 Persönlichkeiten vor den Vorhang (25. 1. – 22.4.2019).

Auch sonst setzt Direktorin Stella Rollig ihren feministisch orientierten Fokus fort: Eine große Schau im Sommer ist der US-Künstlerin Kiki Smith im Unteren Belvedere gewidmet (7.6.  – 15.9.), gezeigt werden Grafiken, Gemälde und   speziell für das barocke Ambiente angefertigte Skulpturen.

Im Belvedere 21 (ehemals 21er Haus) hat zunächst Christian Ludwig Attersee einen großen Auftritt  – im Zentrum  steht das von der Pop Art beeinflusste Frühwerk des Künstlers  (1.2. – 18.8.).  Unter dem Titel "Über das Neue" widmet man sich den jungen Szenen in Wien (1. 3. – 2.6.). Danach zeigt das Belvedere 21 Monica Bonvicini, die eben jene Szenen mit ihrer Performancekunst und SM-Ästhetik prägte (28.6.  – 27.10.).   Weitere Solo-Ausstellungen im Belvedere 21 stellen Caroline Achaintre (17.5. – 15.9.), Josef Bauer (ab 6.9.), Henrike Naumann  (ab 26.9.) und Eva Grubinger  (ab 22.11.) vor.

Im  Unteren Belvedere konfrontiert man 2019 die „Charakterköpfe“ von F.X. Messerschmidt mit zeitgenössischer Kunst (8.3.– 18.8.); in der Orangerie zeigt das Museum Johanna Kandl und ihre Studien zum Material der Malerei (ab 13.9.). Die Herbstausstellung im Unteren Belvedere widmet sich Wolfgang Paalen (1905 – ’59), der als einziger Österreicher in der Gruppe der Surrealisten um André Breton aktiv war und später in Mexiko lebte, wo er ein einflussreiches Werk schuf.

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