Interview mit August Diehl: „Nein, nicht mit mir!“
Ein strenggläubiger amerikanischer Regisseur dreht einen Film über einen strenggläubigen Österreicher, der in der NS-Zeit gelebt hat. Das Thema, das er behandelt, geht aber darüber hinaus. Es geht darin um Glauben – nicht nur im religiösen Sinne, sondern auch als ethisches Motiv – und um die Kraft der inneren Haltung. Auch wenn diese den eigenen Untergang bedeutet.
Der Film bietet eine große Bühne für August Diehl: Er spielt die Hauptrolle
in „Ein verborgenes Leben“ des Amerikaners Terrence Malick.
Ein verborgenes Leben
Erzählt wird die Geschichte von Franz Jägerstätter, einem oberösterreichischen Bauern. Im Jahr 1938, bei der Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland, stimmte Jägerstätter als einziger im Ort mit „Nein“. Als er zum Militärdienst eingezogen wurde, bezeichnete er den Dienst mit der Waffe, das Töten für einen Unrechtsstaat, als unvereinbar mit seinem Glauben. Sein stiller Widerstand veranlasste die katholische Kirche dazu, Jägerstätter 2007 selig sprechen zu lassen.
Glaubensbekenntnis
Malicks Filmtitel „Ein verborgenes Leben“ bezieht sich auf eine Drohung der Nationalsozialisten: Niemand würde je von Jägerstätters Widerstand erfahren. Terrence Malick hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Nazis Lügen zu strafen – wie 30 Jahre vor ihm bereits Axel Corti („Der Fall Jägerstätter“, 1971). Malick stellt Jägerstätters Widerstand als großen, göttlichen Akt dar. Als (s)ein (persönliches?) Glaubensbekenntnis. Seiner Vorliebe für überwältigende Naturpanoramen ist der Regisseur auch mit dieser Geschichte treu geblieben.
August Diehl besticht durch seine starke Präsenz. Auf der Bühne wie auf der Leinwand. Schon während seiner Zeit an der Schauspielschule feierte er unter Peter Zadek Theatererfolge. Erste Filmerfahrung machte er unter der Regie von Hans-Christian Schmid im Hacker-Thriller „23“.Inzwischen hat August Diehl zahlreiche Filme gedreht und dabei mit Hollywood-Größen wie Quentin Tarantino und Angelina Jolie zusammengearbeitet. Bei den Salzburger Festspielen machte er als Prinz von Homburg Furore und als Hamlet am Wiener Burgtheater.
KURIER: Als der österreichische Regisseur Axel Corti 1971 seinen „Fall Jägerstätter“ drehte, löste der Film Diskussionen aus, ob dieses Beispiel einer antifaschistischen Zivilcourage, die mit einem Todesurteil endete, wohl viele Nachahmer finden würde. Sie verkörpern in Malicks Film den Franz Jägerstätter. Welche Reaktionen erwarten oder erhoffen Sie vom Publikum? August Diehl: Ich glaube, dass das selbst gewählte, aber deshalb nicht minder tragische Schicksal Jägerstätters eher Hoffnung gibt. Es zeigt, dass es zum Widerstand gar nicht so viel braucht. Man muss kein Ghandi sein und man muss auch nicht wie die Geschwister Scholl aktiv Widerstand leisten – was natürlich großartig war. Manchmal genügt ein stilles „Nein, nicht mit mir!“ Diese Haltung löst etwas aus, weil ein „Nein“ für die Machthaber immer unbequem ist. Das gilt nicht nur für den Nationalsozialismus, sondern auch für heute. Auch in unserer Zeit kann man mit einem „Nein!“ – mit der Verweigerung, bei etwas mitzumachen, was man ethisch für falsch hält – passiven Widerstand gegen ein System leisten. Wenn es mehr solche Menschen gäbe, dann könnten einige der gut geölten Maschinerien nicht mehr so gut laufen.
Meinen Sie mit den gut geölten Maschinerien, gegen die man heutzutage Widerstand leisten sollte, den Populismus, mit dem rechte Parteien ihre Ideologien verbreiten?
Der Rechtsruck in Europa und die populistischen Parteien, die damit hochkommen – das alles ist natürlich erschreckend. Und die Geschichte, die wir erzählen, hat ja sozusagen erst vorgestern stattgefunden. Die Töchter von Franz Jägerstätter leben noch. Und was die wohl denken, wenn sie sehen, was jetzt gerade wieder passiert – da kann man sich nur schämen. Aber ich glaube, dass auch gegen den heutigen Rechtsruck ein „Nein“ helfen könnte. Diese Parteien bekommen ja nur deshalb immer mehr Macht, weil so viele Leute mitmachen. Und wenn da nur einer nicht mitmacht und „Nein“ dazu sagt, dann kann er dieses Gefüge zumindest ins Wanken bringen. In diesem Sinne sagt der Film auch viel über die heutige Situation in Europa.
Was war Ihrer Interpretation nach für Franz Jägerstätter das stärkere Motiv für seinen Widerstand: Der religiöse Glaube an Gott oder der Glaube an die eigene Moral und Charakterstärke?Für mich ist das kein Film über Religiosität, sondern über das Gewissen. Franz Jägerstätter war natürlich ein gläubiger Katholik, aber das Gewissen geht ja viel tiefer. Jedes Kind weiß, was richtig oder falsch ist – egal, aus welchem Kulturkreis und welcher Religion es kommt. Kein Kind würde darüber diskutieren, ob es richtig sein kann, einen Menschen zu töten. So etwas diskutieren nur Erwachsene. Bei ihnen können persönliche, gesellschaftliche und politische Lebenserfahrungen – und bisweilen auch religiöse – dazu führen, dass einige von ihnen an einem Tisch zusammensitzen und entscheiden, ob es richtig oder gar nötig ist, Zehntausende Menschen umzubringen. Das würde kein Kind machen – und das Kindliche an Franz Jägerstätter macht auch seine Stärke und seine Kraft zum Widerstand aus.
Wenn man sich Ihre Filmografie ansieht, bekommt man den Eindruck, dass Sie die Produktionen nach ihrer politischen und sozialen Aussagekraft auswählen. Stimmt dieser Eindruck?
Ich glaube, dass das eher unterbewusst ist. Geschichte interessiert mich und ich begreife die Menschen als Produkte der Vergangenheit. Und so, wie das 20. Jahrhundert vom 19. geprägt war, so ist das 21. sehr stark vom 20. Jahrhundert geprägt. Wir sind geprägt von der NS-Vergangenheit. Vielleicht kommt daher mein Interesse für bestimmte Themen und politische Zusammenhänge.
Johannes Krisch, der auch in diesem Film mitspielt, hat erzählt, dass er von Terrence Malick nie das ganze Drehbuch bekommen hat, sondern nur seine Dialogzeilen. Er bekam auch nicht die Antworten seiner Partner, weil der Regisseur spontane und nicht gespielte Reaktionen erzielen wollte. War das bei Ihnen auch so?
Es gab ein Script. Sogar ein für Malick-Begriffe sehr ausgereiftes. Aber Valerie Pachner, die Jägerstätters Frau spielt, und ich haben das Drehbuch schon nach kurzer Zeit zur Seite gelegt. Terrence verfilmt nicht Schritt für Schritt fertige Drehbücher, sondern er versucht – oft auch tagelang – bestimmte Stimmungen oder Konflikte einzufangen. Man ist bei ihm eingeladen, ihn auf einer Reise zu begleiten, und er überlässt den Mitwirkenden sehr viel Selbstverantwortung.
Text: Gabriele Flossmann
Kommentare