Gut, aber nicht gut genug

Oscar Isaac (li.) als glückloser Titelheld Llewyn Davis und Justin Timberlake als sein bester Freund bei der Aufnahme eines Hit-Songs
Das Porträt eines Folksängers von den Coen-Brüdern gewann heuer in Cannes. Weiters: "Carrie"-Remake und "Tage am Strand".

Sie sind Oscar-Preisträger, Cannes-Gewinner und Empfänger unzähliger Auszeichnungen. Trotzdem haben Joel und Ethan Coen nicht ihr Gespür dafür verloren, was es heißt, keinen Erfolg zu haben. Oder schlichtweg zu versagen.

Wie es sich anfühlt, zwar gut, aber womöglich nicht gut genug zu sein, um einen wirklichen Durchbruch zu schaffen; davon erzählen die Coens mit schneidendem Witz, abgründiger Melancholie und großer Innigkeit – in ihrem hervorragenden (fiktiven) Porträt des Folksängers Llewyn Davis.

Als Inspirationsquelle dienten zwar die Memoiren des überaus einflussreichen Folksängers und Mentors Dave Van Ronk, auf dessen Couch auch schon Bob Dylan übernachtet hatte. Doch Llewyn Davis ist ganz und gar eine tragikomische Coen-Figur, kongenial gespielt von Oscar Isaac.

Verlorene Katze

Eigenbrötlerisch und nicht sonderlich sympathisch trägt er seine Niederlagen mit der bitteren Ergebenheit eines geprüften Hiobs. Gut möglich, dass er im ganzen Film kein einziges Mal lächelt. Er hat auch keinen Grund dazu. Egal, was er anfängt, es geht schief – sogar die Katze seiner Gastgeber geht ihm verloren. Wintermantel hat er auch keinen – und das im eiskalten New York, wo Llewyn von Auftritt zu Auftritt krebst und sich zum Übernachten bei Bekannten einschnorrt.

Mit handwerklicher Genauigkeit und penibler Liebe zum historischen Detail lassen die Coens die frühen 60er-Jahre in New Yorks Greenwich Village aufleben. Jedes einzelne Bild ist von derartig aufgeräumter Brillanz, dass man am liebsten auf Stopp drücken würde, um es länger anschauen zu können. Dabei ist nicht Ausstattungswahn am Werk, sondern die geniale Fähigkeit, eine historische Atmosphäre in ihren Texturen fühlbar zu machen. Bis hin zur Kälte, die man spürt, wenn sie sich vor dem frierenden Llewyn zu einer Rauchwolke ballt.

Oscar Isaac – und übrigens auch der Rest des famosen Casts – singt und spielt alle Songs selbst. Llewyns Live-Auftritte mit stimmungsschweren Folk-Balladen, die die Coens immer von Anfang bis zum Ende ausspielen, finden zwar Anhänger, aber keine Fans: „I don’t see money here“, sagt einer der Musik-Produzenten – und sogar der glücklose Folkie versteht, was er damit meint.

Zu den Höhepunkten der Auftritte zählen Live-Musikeinspielungen mit dem großartigen Justin Timberlake als Llewyns bestem Freund Jim. Die Freundschaft hält Llewyn übrigens nicht davon ab, mit Jims Frau ins Bett zu gehen und diese zu schwängern. Carey Mulligan spielt ihre Girlfriend-Rolle mit herrlicher Verbiesterung: Wenn sie den Mund aufmacht, meint man, eine Kreissäge werde angeworfen.

Auch John Goodman als übergewichtiger Jazz-Hipster und Heroin-Junkie liefert abgründige Auftritte ab. Während einer desperaten, schneeverwehten Autofahrt nach Chicago lehrt er seine Beifahrer, was es heißt, so richtig am Boden zu sein.

Bob Dylan

Ganz am Ende hat Llewyn Davis noch einmal einen Auftritt in seinem Stammlokal. Der Applaus ist wohlwollend, wie immer, aber nicht begeistert – auch wie immer. Nach ihm tritt ein Unbekannter auf und beginnt zu singen. Es ist die schnarrende Stimme von Bob Dylan, die das Generationenband durchschneidet und eine neue Ära der Folkmusik einläutet.

KURIER-Wertung:

INFO: "Inside Llewyn Davis", USA 2013. 105 Min. Von Joel and Ethan Coen. Mit Oscar Isaac, Carey Mulligan.

Es war wohl nur eine Frage der Zeit: das Remake von Brian de Palmas Horror-Hit „Carrie“ von 1976. Längst gehört das Mädchen mit den übersinnlichen Kräften, das von seinen Schulkolleginnen gequält und mit Schweineblut übergossen wird, zum Kanon der Popkultur.

Sissy Spacek als rothaarig-bleiche Titelheldin konnte damals im richtigen Licht ziemlich unheimlich aussehen. Die neue Carrie hingegen – Chloë Grace Moretz – wirkt immer wie ein süßer Teenie, dem man nur die richtigen Klamotten anziehen müsste. Im Zusammenspiel mit Julianne Moore als ihre religiös-fanatische Mutter bleibt Letztere eindeutig Siegerin im Horrorfach. Ungeschminkt und mit wallendem Haar näht sie ihre Kleider selbst, singt inbrünstig christliche Lieder und ritzt sich die Haut blutig. Das Ringen zwischen Mutter und Tochter um Formen akzeptabler Weiblichkeit zählt zu den stärksten Horror-Momenten.

Doch das Drama verlängert sich in den Schulhof. Carrie hat ihre erste Regelblutung und beginnt – weil nicht aufgeklärt – hysterisch zu schreien. Sehr zum Spott der Klassenkolleginnen, die alles mitfilmen und online stellen.

Leider verteilt die Regisseurin Kimberly Peirce die Rollen unter den Teens zwischen Gut und Böse allzu klar. Dementsprechend formelhaft gerät der Anlauf hin zum Finale. Auch Carries Rache, bei der sie dank ihrer telekinetischen Fähigkeiten einen Ballsaal niederreißt, verglüht in ausgewalzter Länge.

Großartig dafür wieder der letzte Akt zwischen der religiös delirierenden Alten und der mörderischen Jungen: Die enge Mutter-Tochter-Beziehung als Schauplatz der übergroßen Liebe, aber auch des Horrors übersteuert sich so gewaltig, bis grandios der Blitz einschlägt.

KURIER-Wertung:

INFO: "Carrie". USA 2013. 100 Min. Von Kimberly Peirce. Mit Chloë Grace Moretz, Julianne Moore, G. Wilde.

Gut, aber nicht gut genug
Blutige Rache für Mobbing: Chloë Grace Moretz als „Carrie“

„Sehen Sie nicht aus wie junge Götter?“

Die stolzen Mütter blicken liebevoll auf ihre beiden Söhne, die gerade mit dem Surfbrett auf den Schultern dem Meer entsteigen.

Das perfekte Bild: eine traumhafte Meeresbucht an der australischen Küste, Sonne, Sandstrand und schöne Menschen. Die beiden Frauen – gespielt von den Hollywood-Beautys Naomi Watts und Robin Wright – sind jenseits der 40, sehen dabei aber immer noch so gut aus wie manch andere ihr ganzes Leben nicht. Als beste Freundinnen Roz und Lil genießen sie den Anblick ihrer attraktiven Nachkommen.

Der mütterliche Blick schlägt jedoch bald in Begehren um: Roz lässt sich vom Sohn ihrer besten Freundin verführen, ihr eigener Sohn fängt ein Verhältnis mit Lil an. Es beginnt eines erotisches Vierergespann mit inzestuösen Untertönen.

Basierend auf einer Kurzgeschichte von Doris Lessing, inszeniert Regisseurin Anne Fontaine die anrüchige Konstellation als gepflegtes Wellness-Drama im Designer-Ambiente. Selbst so erstklassige Schauspielerinnen wie Watts und Wright bringen nur seltsam leblose Dramatik zustande. Die beiden jungen Männer neben ihnen wirken, als wären sie gerade dem Modeshooting eines Hochglanzmagazins entsprungen.

Insgesamt fühlt sich die Erzählung eigentümlich leicht – oder besser: wattiert an. Wie mit einem Weichzeichner entworfen. Und die großen Gefühle verschwimmen zu einer Mischung aus Soap-Opera, Softporno und seriösem Problemfilm.

KURIER-Wertung:

INFO: "Tage am Strand". F 2013. 100 Min. Von Anne Fontaine. Mit Naomi Watts, Robin Wright, Xavier Samuel.

"Ganz weit hinten"

Tragikomödie. Auf der Skala zwischen null und zehn ist der 14-jährige Duncan gerade mal ein Dreier. Findet zumindest der neue, wenig sensible Freund seiner Mutter. Und jetzt steht auch noch der gemeinsame Strandurlaub an. Ganz im Geiste einer Coming-of-Age-Komödie à la „Adventureland“ flüchtet sich Duncan in einen Wasserpark und lernt dort dessen Manager kennen. Sam Rockwell brilliert als Witzbold mit Herz, Tony Colette als überforderte Mutter. Hervorragend komödiantisch besetzt auch alle Nebenrollen – bis hin zur ewig besoffenen Nachbarin.

KURIER-Wertung:

"Der Lieferheld – Unverhofft kommt oft"

Komödie. Der Franko-Kanadier Ken Scott hat seine Tragikomödie „Starbuck“ von 2011 in Hollywood neu gedreht. Im Remake erfährt Vince Vaughn, dass seine Samenspende vor zwanzig Jahren 533 Kinder produzierte. Nun wollen ihn 142 kennenlernen.

"Auf dem Weg zur Schule"

Doku. Für manche Kinder ist der Weg zur Schule ein echtes Abenteuer: Regisseur Pascal Plisson folgt vier Kindern – in Kenia, Argentinien ... – auf ihrem beschwerlichen Schulweg.

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