"Innen Raum": Der Krieg aus weiblicher Sicht

Abou Abboud in dem berührend- beklemmenden Kammerspiel „Innen Leben“
Interview mit dem belgischen Regisseur Philippe Van Leeuw über sein Kammerspiel aus dem Syrien-Krieg "Innen Leben".

Was es für Menschen bedeutet, wenn Krieg zum Alltag gehört, das zeigt der Spielfilm "Innen Leben" (derzeit im Kino) des belgischen Regisseurs Philippe Van Leeuw. Er schildert darin 24 Stunden im Leben syrischer Zivilisten – mitten im Bürgerkrieg.

KURIER: Warum betrachten Sie in Ihrem Film das Kriegsgeschehen in Syrien fast ausschließlich aus weiblicher Sicht?Philippe van Leeuw: Weil Frauen ganz besonders unter Kriegen zu leiden haben. Dass sie in solchen Extremsituationen zu Opfern männlicher Aggressionen werden, hat psychologische, um nicht zu sagen mythologische Gründe. Denn Frauen symbolisieren Werte wie Heim und Heimat und in vielen Kulturen auch die Ehre einer ganzen Familie.

Ist deshalb die Vergewaltigungsszene so lange geraten?

Ja. Für mich ist das die Schlüsselszene des Films. Der Einsatz von Musik und Geräuschen und vor allem die optischen Perspektiven sollen vor allem den psychischen Zustand der Frau vermitteln. Deshalb sieht man in erster Linie ihr Gesicht – und wenn sie die Augen schließt, hört man nur noch, was sie hören kann oder will.

Welche Erfahrungen haben Sie zu diesem Film inspiriert?

Die Demonstrationen des "Arabischen Frühlings" haben mich fasziniert. Ich habe damals gerade zwei Filme im Libanon gedreht – in meinem ursprünglichen Beruf als Kameramann. Durch meine Arbeit im Libanon habe ich auch die Menschen dort näher kennengelernt und viel über das komplexe Verhältnis zum Nachbarland Syrien erfahren. Aus nächster Nähe konnte ich beobachten, wie brutal das syrische Regime vorging, als sich der Widerstand im eigenen Land regte. Im September 2012 hatte eine junge Frau als Kameraassistentin mit mir zu arbeiten begonnen. Sie war Syrerin und erzählte mir von ihrem Vater, der drei Wochen lang in seiner Wohnung eingeschlossen war, weil er sich wegen des Bürgerkriegs nicht mehr vor die Tür wagte. Aus dem Vater habe ich aus bereits genannten Gründen eine Frau gemacht. Genauer gesagt, drei Frauen.

Woher kommt Ihre Einfühlungsgabe in die Psyche von Frauen in Ausnahmesituationen?

Ich habe da an die Geschichten meiner Großmutter vom Zweiten Weltkrieg gedacht. Auch sie erzählte mir, wie sie sich in ihrer Wohnung verbarrikadiert hatte. Sie wollte sich während der Bombenangriffe nicht im Keller verstecken, sondern lieber im eigenen Bett sterben. Für sie bedeutete das, ihre Würde zu bewahren. Bei jedem Krieg geht es doch vor allem darum, ob und wie man in solchen Extremsituationen Würde und Menschlichkeit bewahren kann. Dabei geraten Ethik und Moral oft in Widerstreit mit dem Instinkt. Dem Instinkt geht es um das Überleben um jeden Preis – und Ethik und Moral, soweit im Krieg noch vorhanden, sagen uns, dass dieses Überleben nicht auf Kosten anderer Menschen erfolgen sollte. Man kann für sich selbst nur hoffen, dass einem solche Entscheidungen erspart bleiben, oder dass man im Ernstfall das Richtige tut.

Für uns Europäer stellt sich angesichts der Flüchtlinge die Frage, wieweit unser Respekt vor der Kultur der Herkunftsländer von Asylsuchenden gehen soll, oder ob deren Anerkennung unserer Lebensweise und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen wichtiger ist?

Das ist wirklich eine Grundsatzfrage, die uns gefangen hält. Mit meinem Film will ich vor allem Empathie für die Menschen wecken, die den Kriegen in ihren Ländern entkommen wollen. Sollen wir diese Menschen integrieren, oder ihr Anderssein respektieren? In Anbetracht der großen Aufgabe, die mit der menschenrechtskonformen Behandlung der Flüchtlinge auf uns zukommt, finde ich es kleinlich, wenn sich unsere Toleranzdebatte an sozialen Codes festmacht – wie etwa der Verschleierung muslimischer Frauen. Warum sollte man Frauen den Zutritt zu öffentlichen Ämtern oder Schulen verweigern, nur weil sie ein Kopftuch tragen? Damit erschwert man ihnen eher die Integration in unsere Gesellschaft. Ich sehe im Tragen eines Kopftuchs kein Problem.

Text: Gabriele Flossmann

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