In der Hochburg des Hasses

Jesmyn Ward, US-Schriftstellerin
Herzzerreißender, preisgekrönter Roman von Jesmyn Ward über Mississippi, wo es nicht zu brennen aufhört.

Warum sollen wir DAS lesen? Ein armer, schwarzer 13-Jähriger, Jojo heißt er, aus Mississippi; seine pflichtvergessene, drogenabhängige Mutter Leonie ; der weiße Vater im Gefängnis, der nach drei Jahren enthaftet wird ...

Jesmyn Ward hat sich über diese oft gestellte Frage geärgert. Jetzt hat sie mehrere Antwortmöglichkeiten.

Etwa: Das ist eine Familiengeschichte, die im Rassismus verankert ist – und soll man die Rassisten denn nicht im Auge behalten?

Mississippi gilt als Hochburg des Hasses, der sich an Andersdenkende und Andersfarbige richtet.

Mississippi ist sehr weit entfernt. Aber halt nicht sehr, sehr weit.

Zum zweiten Mal

Oder die Gegenfrage: Will man denn nicht, dass beim Lesen von "Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt" die Luft wegbleibt?

Das hat die Jury gesagt und der 40-jährigen Amerikanerin (geboren ebenfalls in Mississippi) im vergangenen November den National Book Award verliehen.

Zum zweiten Mal schon (nach Wards "Vor dem Sturm", 2011, Kunstmann Verlag).

Das haben sonst nur Philip Roth, William Gaddis, John Updike und William Faulkner geschafft. Mit Faulkner wird sie verglichen, an dessen Leichenzug in "Als ich im Sterben lag" denkt man unwillkürlich.

Denn auch an Jesmyn Wards langer Autofahrt zum berüchtigten Staatsgefängnis "Patchman Farm" nehmen nicht nur Lebende teil. Leonie fährt, und neben Jojo (der allerbeste!), seiner kleinen kotzenden Schwester und einer Freundin der Mutter sind immer Tote präsent.

Weil sie nie Ruhe finden konnten. Mutters Bruder etwa: Vor 15 Jahren wurde er von einem (weißen) Schulkameraden erschossen, weil er es gewagt hatte, in einem Wettkampf gegen ihn zu gewinnen.

Vergangenheit, die nicht zu Grabe getragen werden konnte, beherrscht die Gegenwart.

Mississippi hört nicht auf zu brennen. Das wird hier nicht drastisch mit Ku Klux Klan gezeigt. Meist reicht das Bild vom Blut, das sich nicht wegwaschen lässt. Und der tote Bub, der nachts singt.

Lynchjustiz, als eine weiße Frau auf dem Gehsteig unabsichtlich von einem schwarzen Mann gestreift wurde, muss allerdings schon erwähnt werden.

Manchmal (heißt es bei Jesmyn Ward) gibt dir die Welt nicht, was du brauchst, so sehr kannst du dich gar nicht darum bemühen ...

Was kann da helfen?

Ein sehr gutes Buch.

Jesmyn Ward:
„Singt, ihr
Lebenden und ihr Toten, singt“
Übersetzt von
Ulrike Becker.
Kunstmann
Verlag.
304 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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