Im Resonanzraum der Zeichen: Christine Sun Kim beeindruckt in der Secession

Der Hauptraum der Wiener Secession läuft dann zur Hochform auf, wenn er einer großen Idee untergeordnet ist - die besten Momente in diesem traditionsreichen Saal, von der Beethoven-Ausstellung (1902) über Sol Lewitts Wandmalereien (1988) bis zu jüngeren Interventionen von Verena Dengler (2020) oder Siggi Hofer (2022) mögen das belegen.
Nun ist wieder ein kolossaler Gesamteindruck entstanden, der erlebt werden will: Die US-amerikanische Künstlerin Christine Sun Kim, 1980 geboren und größtenteils in Berlin lebend, hat den Saal mit wandfüllenden Arbeiten transformiert - riesige schwarze Wellenbewegungen scheinen die Wände entlangzulaufen oder an ihnen auf- und abzuhüpfen und wollen abgeschritten werden, was man durchaus auch als Echo des Klimt-Frieses, der Hauptattraktion im Untergeschoß, deuten kann.
Hallo, Echo
Für Kim hat der Begriff des Echos (ein solches manifestiert sich im leeren Saal übrigens auch bei jedem etwas lauteren Geräusch) eine spezielle Bedeutung. In der Tat ist die Bogenform, die das Grundmotiv der Wandmalerei und der meisten der an den Wänden gezeigten, gerahmten Zeichnungen bildet, eine Entsprechung für den Begriff des Echos in der Amerikanischen Gebärdensprache (American Sign Language, kurz ASL). Es ist jenes Idiom, in dem sich Kim verständigt.

Übersetzungsfehler, Doppeldeutigkeiten, Interpretationsspielräume, Fragen von Synchronisation und "Timing" bilden gewissermaßen das Ausgangsmaterial der Künstlerin, die bei ihren öffentlichen Performances mit einem Dolmetscher-Duo zusammenarbeitet. Wobei Kim dezidiert darauf pocht, nicht in eine Ecke gestellt werden zu wollen: Ein Gefälle zwischen denen, die hören, und jenen, die das nicht tun, möge man in der Berichterstattung vermeiden, heißt es in einem Briefing-Bogen, den Medienvertreterinnen und Medienvertreter bei den Pressematerialien zur Schau vorfinden. Selbst Ihr Rezensent, durchaus bemüht, die Klippen des so genannten "Othering" zu umschiffen, fand sich rasch bei einigen Formulierungen ertappt.
Kims Kunst gibt aber keinerlei Anlass, das Material der Gebärdensprache in seiner Interaktion mit Grafik, Notation und geschriebener Sprache anders zu behandeln denn als starke kreative Ressource: Die großformatigen Zeichnungen, in denen Kim etwa den inexakten Gebrauch der Gebärdensprache in TikTok-Videos skizziert und kritisiert, beziehen ihre Kraft aus dem lustvollen Hin- und Herwechseln zwischen den Perspektiven und dem Spiel mit den vielen Filtern und Nebengeräuschen, die das Durchdringen jeder Botschaft strukturieren oder behindern. Im Referenzkasten des Wiener Kunstpublikums könnte dies auch in der Sprachphilosophie Wittgensteins und den darauf basierenden Sprach-Bild-Konstellationen der Wiener Gruppe Resonanz finden.

Schuld
Eine weitere Grafikserie, in der Kim die Nähe zwischen dem Begriff der Schuld ("debt") und jenem der Kerbe ("dent") grafisch aufschlüsselt, braucht dann doch etwas mehr Anleitung bei der Interpretation (die Kerbe, die der Finger auf der Hand des oder der Zeigenden hinterlässt, wird etwa mit der "Kerbe", die die Verschuldung am Bankkonto hinterlässt, in Beziehung gesetzt). Doch wie bei der meisten guten Kunst bleibt das Tor zur Interaktion auch offen, wenn nicht jedes der intendierten Zeichen sofort gedeutet wird: Die Herausforderung, ein Sensorium abseits des Gewohnten einzuschalten, ist hier in ein überzeugendes ästhetisches Erlebnis eingebettet.
Dieses inkludiert nicht zuletzt auch Musik: "Cues on Point", das titelgebende Video der Secessions-Schau, verarbeitet die Erfahrung, die Kim hatte, als sie 2020 bei der Superbowl die US-Hymne sowie den Song "America The Beautiful" gemeinsam mit ihren Dolmetsch-Duo simultan in "American Sign Language" übersetzen musste. Um das Timing auf die Darbietungen (von Popstar Demi Lovato und Sängerin Yolanda Adams) abzustimmen, waren zahlreiche Neben-Absprachen und Zeichen notwendig, die in Kims Video nun im Fokus stehen.
Dass Kims Werk auf Ermächtigung pocht und gegen Voruteile ankämpft, ist evident - das Anliegen ist aber nicht in jener Weise vorgetragen, die Marginalisierung in den Vordergrund stellt. Gerade angesichts des Umstands, dass die Fokussierung auf mehr Inklusion und Diversität in Kulturinstitutionen gegenwärtig auch viel Widerstand erzeugt, ist die Schau ein Beispiel dafür, wie es gehen kann, wenn die Kunst schlichtweg begeistert.
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