Im Gespräch mit Roy Andersson: Schräger Schwede

Ein Mann will seine Frau mit einem Abendessen überraschen, muss sich aber über eine Zufallsbegegnung ärgern: „Über die Unendlichkeit“
Der schwedische Regisseur Roy Andersson und sein skurriler Humor in dem Film „Über die Unendlichkeit“

Roy Andersson ist ein schwedischer Regisseur mit schrägem Humor. Bis heute hat der mittlerweile 77-Jährige nur sechs Langfilme gedreht, zuletzt „Über die Unendlichkeit“ (derzeit im Kino).

Über die Unendlichkeit

In nur knackigen 76 Minuten entrollt Andersson seine melancholisch-komische Welt in 33 perfekt stilisierten, langen Einstellungen. In seinen skurrilen Alltagsvignetten sehen die Menschen alle so aus, als hätten sie sich gerade in Mehl gewälzt: Mit bleichen Gesichtern sitzen sie beim Psychiater, weinen in der Straßenbahn oder jammern laut beim Zahnarzt.

Wie eine depressiv-skurrile Postkartensammlung breitet er liebevoll seine Lebensansichten vor uns aus.

Roy Andersson findet Humor dort, wo ihn andere erst gar nicht suchen: „Für mich ist Humor eine Art Überlebenshilfe“, sagt der Regisseur, schon etwas gebrechlich, im KURIER-Gespräch: „Ich betrachte das Leben mit Humor, und das ist nichts, was man lernen kann.“

Er selbst hat seinen Sinn für Komik von seinem Vater geerbt: „Ich bin in einer typischen Arbeiterfamilie aufgewachsen. Mein Vater war groß und stark, befand sich aber am unteren Ende der Gesellschaft. Er hatte einen sehr speziellen Humor, den ich mir von ihm abgeschaut habe und der mir mein ganzes Leben lang geholfen hat.“

Im Gespräch mit Roy Andersson: Schräger Schwede

Einen Priester hat seinen Glauben an Gott verloren und träumt, dass er gekreuzigt wird

Banalität und Tragödie, Schönheit und Grausamkeit, Trauer und Gelächter liegen bei Andersson eng beieinander: In seinem verlangsamten Traumtanz durch die menschliche Existenz finden alle Gefühle ihren Platz. Er inszeniert sie wie Sketches am Theater, aber mit der formstrengen, augenschönen Raffinesse des Cinephilen.

Das war nicht immer so. Roy Andersson arbeitete lange Zeit in der Werbebranche und realisierte dort über 300 Werbespots, mit denen er zahlreiche Preise gewann.

Der Hang zur (Anti-) Pointe ist bis heute in seinen Filmen stark spürbar. Im Alter von ungefähr 40 Jahren überlegte er dann ernsthaft, mit dem Filmemachen überhaupt aufzuhören und stattdessen Buchautor zu werden.

Doch die Liebe zum Film überwog, nicht zuletzt auch deswegen, weil Andersson in die Kunstgeschichte vernarrt ist und weiter mit Bildern arbeiten wollte. Einflüsse von Otto Dix, Edward Hopper oder Marc Chagall lassen sich unschwer in seinem Werk erkennen. In „Über die Unendlichkeit“ fliegt beispielsweise ein Liebespaar über ein ausgebombtes Köln und weckt Assoziationen mit Chagall.

Im Gespräch mit Roy Andersson: Schräger Schwede

Banalität und Tragödie: "Über die Unendlichkeit"

Zu der bleichen Gesichtsfarbe seiner Figuren, die immer ein bisschen an Zombies erinnern, ließ er sich vom Nō-Theater, einer traditionellen Form des japanischen Theaters, anregen: „Die maskenhaften Gesichter verstärken das Gefühl von Zeitlosigkeit. Auch der weiße Clown im Zirkus hat mich inspiriert.“

Champagner-Glück

Zudem war es nicht nur die Kunst-, sondern auch die Filmgeschichte, die Andersson beim Filmemachen hielt: „Besonders in den 70er-Jahren gab es so tolles, europäisches Kino“, schwärmt der Schwede. „Zu meinen Lieblingsfilmen gehören ,Fahrraddiebe‘ von Vittorio de Sica und ,Hiroshima, mon amour‘ von Alain Resnais. Die Stimme aus dem Off in ,Über die Unendlichkeit‘ ist von ,Hiroshima‘ inspiriert.“

Diese weibliche Stimme in „Über die Unendlichkeit“ kommentiert die unterschiedlichsten Szenarien: „Ich sehe eine Frau, die Champagner liebte. So sehr. So sehr“, sagt sie, und wir beobachten ein Pärchen in einem schicken Restaurant. Die Frau nippt

an einem Champagner-Glas und strahlt dabei über das ganze Gesicht.

„Sie ist einfach so glücklich, dass es so etwas wie Champagner gibt“, grinst Andersson: „Ich finde, wir sollten froh und dankbar sein für all die Möglichkeiten, die wir haben, um ein gutes Leben zu führen. Leider gibt es genügend Menschen, die nur auf ihren Vorteil bedacht sind und dadurch die Welt nicht besser machen. Das ist nicht sehr sympathisch.“

Noch viel unsympathischer wird es, wenn ein devastierter Adolf Hitler im Führerbunker auftritt und sich von ein paar betrunkenen Getreuen mit „Heil“ begrüßen lässt. Auch er ist Teil von Roy Anderssons bizarrer Bildwelt: „Ich bin 1943 geboren und habe mich mein ganzes Leben gefragt, wie es möglich war, dass die grausame und idiotische Ideologie des Faschismus fast die Welt erobern konnte. Das beschäftigt mich bis heute. Was für eine Schande.“

Im Gespräch mit Roy Andersson: Schräger Schwede

Eine Frau liebt Champagner: Roy Anderssons "Über die Unendlichkeit"

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