Im Dschungelbuch sind Baghiras Krallen "meißelscharf" geworden

Rudyard Kipling, der schreckliche Engländer, verstellt den Blick auf seine zwei schönsten Bücher.

Rudyard Kiplings Mogli-Geschichten aus dem "Dschungelbuch" und sein Meisterwerk "Kim" sind soeben in der Neuübersetzung als Taschenbücher erschienen. 11,30 Euro + 13,30 Euro.

Wieder ein Schritt weg von der Schubladisierung als Kinderbücher. Wieder ein etwas anderer, exakterer Sound – erzeugt vom Deutschen Andreas Nohl, der zuvor mit Twains "Tom Sawyers Abenteuer und Huckleberry Finns Abenteuer" sowie Stevensons "Schatzinsel" und Stokers "Dracula" viel Lesefreude bereitete.

Jetzt haben die Dschungelbewohner dank Nohl keine "Füße" mehr, sondern "Pfoten", Baghira hat eine Tatze und keine Pranke – die Krallen des schwarzen Panthers sind "meißelscharf" (nicht länger "eisenstark"; auch "nadelscharfe" Krallen gibt es in einer der vielen Übersetzungen).

Im Originaltext hat Baghira ripping-chisel talons.

Versöhnung

Man neigt ja dazu, unfair zu werden, wenn der Name Rudyard Kipling fällt. Fast muss man davor warnen, hysterisch zu werden.

Der Engländer war ein durchaus verachtenswerter Mann.

Darf es den Blick auf "Kim" verändern, den Waisenjungen irischer Abstammung auf den Straßen Lahores, der sich sucht ... während er sich einem tibetischen Mönch anschließt, der sich verlieren möchte? Das alte Lied vom Künstler, der gefälligst so "gut" wie seine Werke sein soll ...

Übersetzer Nohl: "Es ist vielleicht die besondere Größe dieses Romans, dass es ihm am Ende gelingt, das östliche Konzept der buddhistischen Befreiung mit dem westlichen Konzept der individuellen Liebe zu versöhnen."

Kipling – Nobelpreisträger 1907, mit 41 Jahren übrigens noch immer der Jüngste, der diese Auszeichnung bekommen hat – hat dummes Zeug geschrieben. Auch.

Er trat gegen Frauenrechte ein und gegen Unabhängigkeitsbestrebungen.

Dem deutschen Kaiser wünschte er schriftlich Lungenkrebs, mit der Affenbande im "Dschungelbuch" könnte er amerikanische Touristen gemeint haben. Amerika beschrieb er als dreckig, geldgierig, alkoholkrank ... In China verkündete er einem Henker, in diesem Land könne man nicht zu freigebig exekutieren.

Der alte Kolonialist löst ein Hin und Her an Gefühlen aus. Weltoffen war er UND intolerant. Klug UND idiotisch.

Er schaffte es, gleichzeitig die Meinung zu vertreten, dass Großbritannien primitive Völker (die Inder) zivilisieren müsse.

Und dass es überhaupt keinen Sinn habe, anderen Menschen etwas aufzwingen zu wollen..

... aber: "Was kümmert es mich, was der Dschungel denkt?" (Balu, der Bär, in der Geschichte "Kaas Jagd")

Rudyard Kipling:
„Das Dschungelbuch“ Die Mogli-Geschichten. Übersetzt von Andreas Nohl. dtv.
288 Seiten.
11,30 Euro.

KURIER-Wertung: ****


Rudyard Kipling:
„Kim“
Übersetzt und herausgegeben von Andreas Nohl. dtv.
520 Seiten. 13,30 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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