Mehr als zehn Wochen lang führte „Flüchtig“, das Roman-Debüt von Hubert von Goisern, im Juni und Juli die Bestsellerlisten an. Jetzt drängt der 67-Jährige mit dem heute veröffentlichten Album „Zeichen & Zeiten“ wieder in die musikalischen Hitparaden. Dabei präsentiert sich von Goisern stilistisch so breit wie noch nie zuvor, mäandriert zwischen karibischen Sounds und Polka, Wienerlied, Elektronik und Rap, und drückt all dem sein Qualitätssiegel auf. Im Interview mit dem KURIER erzählt er, wie sich seine Buchfiguren gegen ihn aufgelehnt haben, was er gegen die heutige Art des Warentransportes hat und warum er einem Eisbären einen Calypso-Song gewidmet hat.
KURIER: Gratulation zum Erfolg des Romans. Warum haben Sie dafür eine Frau zur Hauptfigur erkoren?
Hubert von Goisern: Davon habe ich mir versprochen, dass ich leichter von mir wegkomme. Denn ich wollte ja kein autobiografisches Buch schreiben, keine Hauptfigur haben, die so denkt und handelt, wie ich das in diesen Situationen tun würde. Und tatsächlich habe ich dann das gespürt, wovon viele Autoren sprechen, nämlich, dass sich die Figuren verselbstständigen und ihr Eigenleben entwickeln. Ich hatte ursprünglich die Idee gehabt, auch einen Handlungsstrang einzubauen, wo es zu einem Verbrechen und dann zu falschen Anschuldigungen gekommen wäre. Aber diese Figur hat sich komplett geweigert, irgendetwas mit Kriminalität zu tun zu haben.
Da kam Ihre eigene pazifistische Einstellung durch …
Ja, sicher. Aber ich glaube, es war Paul Auster, der gesagt hat, dass ein Roman, der gar nichts mit dem Schreiber zu hat, nur ein schlechter Roman sein kann.
Auf dem Album gehen Sie gleich mit dem ersten Song „Freunde“ auf die Nazi-Zeit ein. Sie beschreiben darin, wie Franz Lehár trotz guter Beziehungen zum Regime sich nicht für seinen jüdischen Freund Fritz Löhner-Beda einsetzte, der nach Auschwitz transportiert und erschlagen wurde. Warum schwingt da auch etwas Verständnis für Lehár mit?
Ich hab große Sympathie für jeden, der durch diese Zeit durchgehen musste. Und ich traue mich nicht zu sagen, ob ich in so einer Situation nicht auch in Deckung gegangen wäre und geschaut hätte, dass ich irgendwie durchkomme. Lehár war beim Einmarsch 68 Jahre alt. Man hat ihm geraten, nach England oder New York auszuwandern, aber er sagte, ich kann die Sprache nicht, ich bin zu alt dafür. Er hat es geschafft, dass seine jüdische Frau zur Ehrenarierin ernannt wurde, aber das war natürlich eine prekäre Situation für ihn. Ich hätte das Lied auch nicht gemacht, wenn ich nicht ein Interview mit ihm gehört hätte, in dem er auf den Tod von Löhner-Beda angesprochen wurde. Da hört man, wie er in Tränen ausbricht und sich dann drüberrettet, indem er sagt, er wusste nichts davon. Das ist natürlich Blödsinn, denn es hat ihn offenbar schwer beschäftigt.
Es gibt auch noch andere Songs auf dem Album, die auf diese Zeit eingehen. Erinnern Sie an die Verbrechen, weil es eine jüngere Generation gibt, die keinen Bezug mehr dazu hat, während Sie solche Geschichten noch von Ihren Eltern gehört haben?
Ich glaube, die junge Generation weiß darüber mehr als wir, denn die hört das im Geschichtsunterricht. Wir haben davon in der Schule ja gar nichts gehört. Ich bin sieben Jahre nach Kriegsende geboren, habe aber auch nicht viele Geschichten darüber von meinen Eltern gehört. Aber es war halt präsent, weil man überhaupt keine Antworten bekommen hat. Diese Wand des Schweigens hat klargemacht, dass da etwas Ungeheuerliches passiert ist. Sie hat das für uns körperlich spürbar gemacht. Das hat die junge Generation nicht mehr. Aber ich singe darüber, weil ich finde, dass es wichtig ist, dass wir uns nicht so weit distanzieren, dass wir glauben, es kann nicht mehr passieren. Denn genau dann passiert es.
Sehen Sie das zurzeit als eine Gefahr?
Ich glaube, noch haben wir die nötige Wachheit. Und mein Beitrag, diese Wachheit aufrechtzuerhalten, sind solche Songs. Mit der derzeitigen Bundesregierung habe ich keine Ängste in diese Richtung. Aber es ist noch nicht lange her, da hatten wir eine andere Regierung. Und da war es sehr wohl berechtigt, sich Gedanken darüber zu machen, was es an Spaltung gibt, was es an Feindbildern gibt, die damals wieder beschworen wurden, und dass es jederzeit wieder passieren kann.
Es ist sicher kein Zufall, dass der Song „Eiweiß“ über einen Eisbären auf Nahrungssuche karibisches Flair hat.
Natürlich nicht: Die Polkappen schmelzen, es wird immer wärmer und seine Regionen werden karibisch.
Das Umweltthema kommt auch öfter auf „Zeichen & Zeiten“ vor. Sie reisen sehr gerne. Spüren Sie einen Konflikt zwischen der Lust darauf und dem Schaden, den Fliegen der Umwelt zufügt?
Ja, das hat es gegeben. Allerdings habe ich immer Slow-Travelling betrieben. Ich bin irgendwo hingefahren und lange dortgeblieben, um in diese Kultur und die Lebensweise der Leute eintauchen zu können. Auch, um den Leuten dort die Möglichkeit zu geben, mich richtig kennenzulernen – nicht nur als Cappuccino-Konsument. Das halte ich nach wie vor für sehr wichtig in Bezug darauf, die Angst vor dem Fremden zu verlieren. So werde ich sicher wieder reisen. Aber ich glaube, mit der Reiseart, dass man in einer Woche durch fünf Länder rast, oder für ein Wochenende nach Barcelona fliegt, muss jetzt Schluss sein. Und was der Umwelt auch noch stark helfen würde, wäre, dass der Transport anders eingepreist wird.
Sie meinen den Transport von Waren?
Genau. Der Schaden, den es anrichtet, wenn man Sachen zum Färben nach Indien und zum Knöpfeannähen nach Sibirien schickt, dreimal um die Welt, weil diese Arbeiten dort billiger sind, ist Wahnsinn. Und das geht nur, weil der Transport nahezu nichts kostet und das Kerosin steuerfrei ist. Auch der Schiffsdiesel, der so viel Dreck macht. Um die Umwelt zu retten, müssen wir uns gegen so einen Wahnsinn solidarisieren. Das heißt sicher, dass Dinge teurer werden und wir auf manches verzichten müssen. Aber man muss sicher nicht ganz auf das Fliegen verzichten. Man kann auch nur einmal statt fünfmal im Jahr fliegen und länger dortbleiben. Dann kann man es sich auch leisten, wenn es fünfmal so teuer ist.
Wie ist „Elektro“ entstanden, ein Song, der pumpende Elektro-Beats mit Gitarre und Akkordeon verbindet?
Nach einer Aufnahmesession habe ich mit meinen Co-Produzenten Alessandro Trebo und Wolfgang Spannberger noch ein Bier getrunken. Die beiden haben angefangen, über Technik zu reden. Weil das so gar nicht meins ist, konnte ich nicht mitreden und mir war fad. Um sie zu stören, habe ich dann immer wieder „elelelelelektro“ gesagt. Irgendwann fragten sie: „Welchen Song singst du da?“ Ich sagte: „Das ist kein Song, das sind Störgeräusche!“. Darauf sie: „Daraus kann man aber einen Song machen.“
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