„Boomtown“
Die Ausstellung „Holbein. Burgkmair. Dürer. Renaissance im Norden“ bietet jede Menge guter Argumente auf, sich der Stadt, die sich im frühen 16. Jahrhundert zu einer Art „Boomtown“ entwickelte, zu widmen. Hier residierte die Familie der Fugger, die – von Kaufleuten zu Bankiers und Adeligen aufgestiegen – ungeheure Macht entwickelten. Kapitalismus traf hier auf Katholizismus – Patriarch Jakob Fugger „vereinte in seiner Firma rund 10 Prozent der wirtschaftlichen Leistung des Heiligen Römischen Reiches“, erklärt Kurator Guido Messling. Die Habsburger Kaiser waren von den Darlehen der Bankiers abhängig. Und alle wollten sie im Himmel Heil erlangen und auf Erden durch Größe und Wohltätigkeit im Gedächtnis bleiben.
Dass heute trotzdem mehr Touristen nach Florenz als nach Augsburg reisen, hat auch mit der Kunst zu tun, die diese – in beiden Städten durchaus vergleichbare – Gemengelage hervorbrachte. Denn wenngleich sich die deutsche Stadt als saugfähiger Schwamm für alles erwies, was aus Italien kam, schlug eine andere Art der Frömmigkeit und des Repräsentationsbedürfnisses auf die Erzeugnisse der vor Ort ansässigen Künstler durch.
Huch, nackte Engel
Dieses Ineinander und Übereinander von Formen und Medien ist das Faszinierende, aber auch das Herausfordernde an den gut 170 Exponaten, die Kurator Messling mit seinem Team zusammentrug (eine Version der Schau war zuvor im Frankfurter Städel Museum zu sehen gewesen).
Bei der sogenannten „Madonna Böhler“ von Hans Holbein d. Ä. (1524) vermischt sich etwa die Darstellungsweise einer gotischen Muttergottes mit dem Blick in einen italienischen Palazzo und auf (huch!) nackte Engel. Das Wimmelbild „Esther vor Ahasver“ von Hans Burgkmair (1528) ist nicht nur wegen seines alttestamentarischen Inhalts ein Puzzle, sondern auch wegen der Vielzahl der Figuren, Gewänder und Bauten, die teils direkt italienische Vorbilder zitieren.
Medienunternehmer
Burgkmair und Holbein sind die Hauptdarsteller der Show, die dem Zwang zu „großen Namen“ spürbar widerwillig folgt: Denn eigentlich waren die Künstler eher Medienunternehmer, anders als in Florenz widmete man ihnen keine großen Biografien und Theorien. Häufig kooperierten sie, um Bildideen – mal gemalt, geschnitzt oder geschmiedet, oft als Druckgrafik – unter die Leute zu bringen. Was daran nicht kleinformatig blieb, verblieb meist am angestammten Ort – aus der „Fuggerkapelle“, für die auch Dürer arbeitete, schafften es aber bemalte Flügel der Orgel in die Ausstellung.
Es ist eine faszinierende Welt, doch es erfordert Arbeit, in sie einzutauchen. Die Kunsthistoriker haben sehr viel davon geleistet, wie der detaillierte Katalog zeigt.
Lounge zum Nachlesen
Dass auch die Ausstellung eher aus Perspektive der Wissenschaft denn aus jener des Publikums gedacht ist, macht sie zu keinem leicht zu konsumierenden Ereignis. Doch immerhin gibt es eine „Lounge“, wo man zu historischer Musik ausspannen und nachlesen kann.
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