Diesmal kennt man sich aus. Glaubt man. Ein Abenteuerroman. So schaut’s aus.
So kann man „Fremdes Licht“ lesen.
Elaine arbeitete in Winterthur für einen Konzern. Sie rekonstruierte Leben aus DNA. Der Komet kam unerwartet schnell. Nur ein Raumschiff startete rechtzeitig – und stürzte irgendwo im Weltraum ab. Alle tot, nur Elaine nicht.
Den unbekannten Planeten nennt sie, damit er heimeliger wird, „Winterthur“.
Die Letzte ihrer Art.
Sie kann allerdings – mitgenommenes Erbgut und eine Maschine überstanden die Bruchlandung ebenfalls – neues Leben schaffen.
Es ist ein Eisplanet.
Kälte stört Elaine nicht, sie hat Vorfahren bei den Inuit, und ihr Großvater lebte zuletzt in Ostgrönland. Elaine war oft bei ihm. Er lehrte sie, im Eis zu überleben. Sie kann die Sprache der Inuit – jetzt fühlt sie sich:
qungatujuittuq.
Michael Stavarič hat sich mit Inuktitut beschäftigt: So bezeichnet man am Polarlreis einen Sch... tag – bzw. wörtlich:
Elaine war „außer sich zu lächeln“.
Im Eis findet sie etwas, das sie wahnsinnig machen könnte. Sagen wir vorsichtig: In ferner Zukunft schlummert die Vergangenheit.
Kann sie vor uns liegen? Ist denn die Zukunft vielleicht schon erledigt?
Während man rätselt, bewegt sich Stavarič im irdischen zweiten Teil des Romans wieder Richtung Norden, der Polarforscher Fridtjof Nansen spielt mit; und er bewegt sich bis nach Chicago in den Tagen der Weltausstellung 1893, und der erste Serienmörder der Vereinigten Staaten (H.H. Holmes) freut sich, wenn Gäste in sein Horrorhaus kommen, die er foltern kann..
Danach geht es im Buch auf dem Planeten „Winterthur“ zu Ende.
Und warum macht dieser wunderbar abgehobene, präzise beobachtende Schriftsteller das alles?
Er will zeigen, wie Räume und Zeiten mit unsichtbaren Fäden verbunden sind – es hätte ein Gedicht werden können. Es wurde ein in Prosa verwandeltes Gedicht.
Und er fragt, was Zeit ist. Was dieses Wort bedeutet:
Zeitabläufe.
Vielleicht weil er in seinem allerersten Roman („stillborn“, 2006) eine Frau beschrieben hat, die auf einem Vulkan lebte, musste es jetzt kalt werden: sozusagen das Feuer hinter sich lassen, nicht mehr brennen, sondern im Eis untertauchen, nie mehr auftauchen.
***
Der Tod ist eine Tür, hat Stavarič geschrieben. Durch welche Tür auf dem Foto würde er gehen?
„Die meisten“, sagt er im KURIER-Gespräch, „nehmen die goldene Mitte, die anderen das jeweils Politische. Ich bin auf dem Foto bereits durch eine der Türen gegangen und sitze schon dahinter, nicht davor. “
In Wahrheit geht er durch die vierte Tür. Immer. Mit jedem Buch.
Michael
Stavarič:
„Fremdes Licht“
Luchterhand
Verlag.
512 Seiten.
22,70 Euro.
KURIER-Wertung: *****
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