Hermann Nitsch: "Ich bin ein Tierschützer"

Hermann Nitsch: "Ich bin ein Tierschützer"
Der Künstler feiert am 29. August seinen 80er. Im Interview erklärt er, warum er Kirchenmaler werden wollte - und es wurde.

KURIER: Sie wollten eigentlich Kirchenmaler werden. Warum?

Hermann : Schon als 16-Jähriger hab’ ich mich mit den alten Meistern beschäftigt, sie kopiert und so weiter. In den Kirchen fand ich die größten Leistungen. Ich war sehr religiös und wollte, dass die Kirchenmalerei wieder aktiviert wird. Und ich wollte den Expressionismus ins Sakrale ausweiten. Ja, ich wollte Kirchenmaler werden – und jetzt als 80-Jähriger muss ich sagen: Ich bin es geworden. Aber ohne Kirche. Denn jeder Raum, den ich gestalte, wird zu einem sakralen Raum.

Sie sind in Floridsdorf aufgewachsen. Ihr Vater fiel 1944, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. War das ein bestimmendes Erlebnis für Sie?

Ich war fünf Jahre alt. Meine Mutter war traurig, meine Großeltern waren traurig. Alle haben g’sagt: „Bua, du hast jetzt kan Vatter mehr!“ Aber grad so ein junger Bub braucht einen männlichen Erzieher. Ich habe meine Freunde beneidet, dass sie Väter haben. Ein Großvater hat mich dann erzogen. Er war zeichnerisch sehr begabt, von ihm hab’ ich das Talent geerbt. Ich hab’ schon als Kind gern gezeichnet, Lokomotiven und so. Aber dann ist auch er gestorben. Meine Mutter hatte nicht die Kraft, mich zu erziehen. Ich hab’ nur Fußball gespielt. Und in der Schule war ich ein Träumer, ich hab’ mir Romane erdacht, wie Karl May sie geschrieben hat. In der dritten Klasse haben sie mich aus dem Gymnasium geschmissen – mit fünf Fünfern. Meine Mutter hat beim Direktor der Hauptschule gesudert, dass ich nicht wiederholen muss. Und so wurde ich in den B-Zug gesteckt. Da hab’ ich so einen Zorn gekriegt! Binnen kürzester Zeit kam ich in den A-Zug. Und der war die Voraussetzung, dass man eine höhere Lehranstalt besuchen durfte. Man hat sich dann erinnert, dass ich immer gut gezeichnet hab’, und mich auf die Grafische geschickt. Es gab 300 Bewerber, 30 haben sie aufgenommen. Das hat alles verändert. Ich hab’ mich vom Fußball abgewendet – und die Malerei studiert: Michelangelo, Tizian, Veronese, Giotto, … Rembrandt hab ich sehr verehrt. El Greco! Auf der Schiene fahr’ ich auch heute noch.

Nach der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt arbeiteten Sie fürs Technische Museum. Überfordert waren Sie aber nicht?

Es war so ein Grillparzer-Posten (Franz Grillparzer schrieb als Archivdirektor der k. k. Hofkammer im Büro seine Stücke, Anm.), ich musste nur Plakate machen, Ausstellungen gestalten. Und ich hatte viel Freizeit für mich. Ich hab’ dort die ersten Bilder gemalt, die wesentlich geworden sind, darunter das allererste Schüttbild.

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Opus Nr. 1: Das allererste Schüttbild - aus dem Jahr 1960

 

Malaktionen hat man gestattet?

Der Direktor war ein Sonderling, extrem katholisch. Als ich 1962 mit Otto und Adolf Frohner das Manifest „Die Blutorgel“ herausgegeben hab’, war es ihm zu viel. Er teilte dem Ministerium mit: Dieser Grafiker ist problematisch. Die Zusammenarbeit ist immer ärger geworden. Nebenan war die Buchbinderei, die haben mich verspottet und für verrückt erachtet. Da wusste ich: Das hat keine Zukunft – und bin nach fünf Jahren weggegangen.

Auf den Aktionismus kamen gleichzeitig auch Günter Brus und Rudolf Schwarzkogler. Aber Sie waren der Allererste.

Ich will keine Recht beanspruchen. Aber es stimmt: Beim Formulieren der Konzepte des Aktionstheaters und beim Durchführen von Aktionen war ich der Erste. Die erste Aktion war Ende 1962 im Wohnungsatelier von Muehl. Er hat mir assistiert. Danach folgten „Die Blutorgel“ – und „Das Fest des psycho-physischen Naturalismus“. Das war eine Veranstaltung von Muehl und mir, bei der jeder seine Aktionen zeigen wollte. Meine wurde nach einer Dreiviertelstunde von der Polizei abgebrochen. Dann war es aus. Wir wurden eingesperrt. Und so weiter.

Wie war das für Ihre Mutter?

Sie war sehr arm, sie hat sich sehr geschämt – und mit mir geschimpft. Aber sie hat trotzdem immer zu mir gehalten. Ihre beste Freundin hat einmal zu ihr gesagt: „Helene, dass Du das angehen lasst!“ Und meine Mutter hat geantwortet: „Was mein Sohn macht: Des versteht du net!“ Und sie hat zehn Jahre lang nichts mit ihr geredet.

War sie je bei einer Aktion?

Um Gottes Willen, nein!

Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, das Bild in den Raum übersetzen zu wollen?

Die Idee war schon da, bevor ich informell malte: Ich wollte ein Theater machen, wo es nur um die Inszenierung von realen Geschehnissen geht. Aus dem heraus ist die Freude entstanden, mit schleimiger Farbe zu schütten, zu malen, zu spritzen, zu schlieren. Auch die Idee, Fleisch und Blut und Gedärme zu verwenden, war schon da. Durch den Tachismus angeregt, habe ich all das auf der Fläche zur Anschauung gebracht, eben durch das Verschütten und Verschmieren von Farbe. Die Aktionsmalerei, die ich ja auch heute noch betreibe, ist die erste Stufe meines Aktionstheaters. Denn der Maler ist ja ein Akteur, der sich sinnlich erregt. Die nächste Stufe ist das Verlassen des Bildes, das Hinausgehen in die Wirklichkeit, das Verwenden von Blut statt Farbe, der Einsatz von Fleisch und Eingeweiden, von Tierkadavern, menschlichen Körpern und so weiter.

Hermann Nitsch: "Ich bin ein Tierschützer"

Erst jüngst entstanden: die neuen Bilder von Hermann Nitsch

 

Gerhard Rühm hat auch Sperma verwendet.

Brus und Muehl haben mit Urin und Stuhl gearbeitet. Das hab’ ich nicht. Nicht, weil ich Angst davor gehabt hätte. Es war ganz einfach nicht mein Metier.

Schwarzkogler ging bis zu seinem Tod, Muehl bis zum Missbrauch. Gab es für Sie eine Grenze, die Sie mit Ihren Aktionen nie überschreiten wollten?

Ich möchte anderen Wesen mit meiner Kunst und durch meine Kunst kein Leid zufügen. Die Kunst ist frei – und alles kann Kunst sein, leider Gottes auch der Krieg. Aber ich habe zu entscheiden! Es gab Kollegen, die haben im Zuge einer künstlerischen Handlung Tiere getötet, zum Beispiel Singvögel. Das kam für mich nicht infrage. Mein kategorischer Imperativ verbietet mir das. Ich werde immer wieder von Tierschützern angegriffen. Dabei bin ich einer von ihnen. Meine Frau Rita und ich, wir lieben Tiere über alles. Wir haben 20 Pfaue, fünf Katzen, zwei Hunde, eine Ziege, etliche Hühner, wir hatte lange Zeit Gänse. Ich bin wirklich ein Tierschützer. Und die Tierkadaver, die ich verwendet habe, waren bereits von der Gesellschaft für den Nahrungsmittelgebrauch vorgesehen. Ich habe sie im Schlachthaus erworben.

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Das Ehepaar Nitsch lebt auf Schloss Prinzendorf mit Hühnern, Pfauen, Hunden, Katzen und einer Ziege

 

Beim 3-Tage-Spiel 1984 wurde aber ein Stier getötet.

Er war fürs Schlachten bestimmt. Und er wurde fachmännisch getötet. Ich wollte die Tragik des Todes in meinem Theater unmittelbar als reales Geschehnis zeigen.

Ihre Akteure sind einer extremen Anspannung ausgesetzt: Sie zittern, sie steigern sich in einen Blutrausch …

Blutrausch ist ein sehr romantischer Begriff. Ich würde sagen: Sie sind in sinnlicher Erregung. Und sie haben immer alles freiwillig gemacht. Bei den Proben hat jeder für sich entschieden, was er macht – und was nicht. Es ist niemand gezwungen worden! Das ist sehr wichtig! Andernfalls würde mein ganzes Theater zusammenbrechen.

Die Akteure sind schon in ekstatische Zustände gekommen.

Ja, warum denn nicht? Ich bin voll und ganz lebensbejahend. Und das soll mein Spiel bewirken. Die Lebensbejahung soll demonstriert und ausgestrahlt werden.

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Ausstellung "Hermann Nitsch - Ritual"

 

Sie haben sich mit der katholischen Kirche beschäftigt, Sie verwenden die Symbole, die Messgewänder, die liturgischen Gegenstände. Man hat Ihnen daher Blasphemie vorgeworfen.

Aus einem Missverständnis heraus. Ich habe mich mit allen großen Religionen beschäftigt, auch mit dem Buddhismus und Hinduismus. Ich wollte die Geschichte unseres Bewusstseins übermitteln. Die Religionen sind Kollektivträume der Menschheit – und Versuche oder Leitlinien, die Welt zu bewältigen. Es ist aber eher eine museale Auseinandersetzung als ein Bekenntnis. Ich bewundere die Gegenstände – wie die Kirchenmalerei.

Das Menstruationsbindenbild mit Kreuz, „Erste heilige Kommunion“, wurde 1966 natürlich als Provokation aufgefasst …

Ich wollte nie provozieren! Ich wollte etwas Intensives schaffen. Dass es provoziert hat, hat sich ergeben.

War das eine tatsächlich benutzte Damenbinde?

Nein. Ich habe sie gestaltet. Andere Künstler, darunter Wolf Vostell, haben benutzte Damenbinden ausgestellt. Aber ich nicht. Ich wollte niemanden beleidigen. Weder die Damenwelt, noch die Kirche.

Sie wurden wegen Religionsstörung verurteilt, die Anfeindungen nahmen zu: Gab es Momente, wo Sie aufgeben wollten?

Ich habe nie gezweifelt. Am ärgsten war es Ende der 60er-Jahre. Dann kamen die ersten internationalen Erfolge. Die Anhängerschaft wurde größer, ich war nicht mehr so einsam. Ich wusste, ich geh’ einen Weg einer Bewusstseinserweiterung, der für uns alle wichtig ist.

Sie betonen immerzu das Lebensbejahende – und tragen trotzdem Schwarz. Warum?

Die Farbe Schwarz hat mich immer fasziniert. Ich wollte die Feierlichkeit der Farbe demonstrieren. Und schon eine gewisse Priesterlichkeit ausdrücken – aber ohne Konfession.

Und wann fiel die Entscheidung für den prächtigen Bart?

Ich dachte mir, dass ich, wenn ich älter bin und etwas in der Kunst geleistet habe, so einen Bart haben möchte wie viele Künstler im 19. Jahrhundert, darunter Johannes Brahms. 1982, nach der zweiten Beteiligung an der Documenta, die ein großer Erfolg war, dachte ich mir: So, jetzt wäre es Zeit. Später stellte ich fest, dass der Bart einer der wenigen Sachen ist, die bei mir wirklich funktionieren. Ich g’fall mir besser.

Für Ihr Orgien Mysterien Theater komponieren Sie auch. Sie entwickelten eine eigene Form der Notation auf Millimeterpapier. Tut es Ihnen leid, das traditionelle Komponieren nicht erlernt zu haben?

Überhaupt nicht. Ich wäre so eingeengt und gehemmt gewesen, ich wäre nie zu diesen Resultaten gekommen. Ich wollte den Lärm, das exzessive Geräusch, das Wimmern, das Stöhnen, den Wollust-Schrei. Das hätte man mit der traditionellen Methode nicht notieren können.

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Hier wird am 1. September 2018 die neue Sinfonie uraufgeführt: Nitsch-Museum in Mistelbach

 

Ihre neue „Sinfonie für großes Orchester“ wird am 1. September im Nitsch-Museum uraufgeführt. Gibt es für sie ein Motiv?

Sie ist ein vorbereitendes Werk für das 6-Tage-Spiel, das ich 2020 realisieren möchte. Ich hoff, dass ich es hinkrieg’. Denn die Kosten sind enorm.

Sie müssen also noch viele Bilder verkaufen ...

Ich mal eh wie ein Stier. Aber nicht wegen dem Geld. Weil es mir Freude macht. Ich glaube, meine neuen Bilder sind sehr schön geworden.

Sie haben sehr intensiv gelebt, gerne gegessen und viel getrunken. Hätten Sie gedacht, dass Sie 80 werden würden?

Ich habe es mir gewünscht. Nur damit kein falsches Bild entsteht: Mein Verhältnis zum Alkohol ist schon ein eher bürgerliches. Ich trink’ jeden Abend einen halben Liter naturreinen weißen Wein. Hin und wieder ist es vielleicht ein bissl mehr. Aber Systemtrinker bin ich keiner. Ja, ich habe gerne intensiv gelebt. Das mache ich auch heute noch. Aber ich muss mich halt jetzt auf das Wesentliche konzentrieren.

Was ist das Wesentliche?

Die Welt ist das Wesentliche. Und diese Welt hat mich mit fünf Sinnen ausgerüstet. Mit ihnen und mit meinem Bewusstsein versuche ich die Welt auszukosten.

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