Die Kunst der Zufriedenheit

Die Kunst der Zufriedenheit
Der Pionier des Deutschrock im Interview.

Mit "Morgen", der ersten Single aus dem neuen Album "Dauernd Jetzt" hat Herbert Grönemeyer ein euphorisches Liebeslied geschrieben. Doch, wie der 58-Jährige im KURIER-Interview erklärt, sind nicht alle Songs vom privaten Glück geprägt.

Soll der Albumtitel „Dauernd Jetzt" andeuten, dass es sich immer im Hier und Jetzt besser lebt ?
Zum Beispiel. Oder auch, dass man lernt, das Glück als das zu begreifen, was es ist. Es auch erkennt, wenn es kommt. Wir kriegen glückliche Situationen oft gar nicht mit, weil wir immer unter Druck stehen, nach vorne zu denken. „Dauernd Jetzt“ ist ein Wortspiel, das ausdrücken soll, dass man so einen Moment ausdehnt, wenn man ihn findet. Dass man, wenn man Zufriedenheit in sich entdeckt, sie erstmal anerkennt und dann versucht, diesen Moment zu strecken. Und nicht zu sagen, okay das habe ich jetzt erlebt, wie geht es weiter? Oder gar sagt, oh die Zukunft, ich hab Angst davor. Das habe ich von meinem Vater übernommen. Der war ein großer Lebenskünstler und hat das Leben voll genossen. Vielleicht auch, weil er in ganz jungen Jahren miterleben musste, wie sein Vater starb. Der war Bergwerks-Leiter und es gab einen Gas-Einbruch in der Grube. Mein Vater ist da mit hingegangen, stand mit seiner Mutter oben am Eingang. Sein Vater war der Erste, der runterging - und er war sofort tot. Ich denke, das hat meinen Vater so geprägt, dass er das Leben unglaublich liebte. Er konnte so gut Momente genießen. Er konnte am Mittagstisch sitzen und plötzlich sagen, mein Gott ist das herrlich. Und man dachte, was ist denn da jetzt gerade so herrlich?

Ist es Ihnen nach Ihren Schicksalsschlägen - nachdem 1998 innerhalb weniger Tage Ihre Frau und Ihr Bruder starben – ähnlich ergangen.
Nur auf längere Sicht gesehen. Am Anfang, in den ersten Jahren danach, fiel mir das sehr, sehr schwer. Man hofft immer darauf, dass sich die Fähigkeit, das Leben zu lieben wieder einstellt. Natürlich lernt man irgendwann später dann auch, kleinere Dinge wieder zu schätzen. Diese Haltung von meinem Vater hat mir damals unterbewusst sicherlich geholfen. Er sagte, je älter ich werde, desto stärker, toller und stolzer werde ich. Und irgendwann fall ich um und dann ist es gut. Er hat das Leben als Wachsen gesehen und war auch so: Bis 85 war er messerscharf im Verstand, klar und heiter. Das hat mir damals sicher ein bisschen geholfen. Was aber nicht heißt, dass man dann immer nur fröhlich hüpfend durch die Welt geht – auf keinen Fall. Das, was man erlebt hat, bleibt natürlich immer vorhanden.

Mit den Songs "Dauernd Jetzt" und "Wunderbare Leere" beschreiben Sie zwei Basis-Prinzipien der buddhistischen Philosophie, nämlich im Hier und Jetzt zu leben und die geistige Leere anzustreben. Zufall, oder haben Sie sich tatsächlich mit dem Buddhismus beschäftigt?

Die Kunst der Zufriedenheit
Herbert Grönemeyer
Ich habe einmal einen europäischen Lama kennengelernt, weil ihn eine Geigerin kannte, die bei uns spielte. Und ich habe auch sein Buch gelesen und mal eine Meditation vom 16. Karmapa kennengelernt. Am Rande habe ich mich damit beschäftigt, mache gelegentlich die "Mindful Meditation". Aber es ist nicht so, dass ich regelmäßig meditiere. Denn die Musik hat auch dieses Ausgleichende: Wenn ich Musik mache, komme ich auch in so ein Fließen, verliere mich darin. Interessant ist auch das Chanten der Buddhisten: Das hat sicher auch noch einen übergeordneten Sinn, aber im Prinzip geht es darum, sich selbst in Schwingung zu versetzen. Ich mache das, wenn ich singe. Ich brauche nicht zu chanten, weil ich singe! Ich würde also nicht sagen, dass ich Buddhist bin, aber Anteile am Buddhismus halte ich für sehr interessant. Denn wir im Westen sind sehr analytisch. Es fällt uns schwer, mal loszulassen, zu sagen, nee, das und das interessiert mich jetzt nicht. Dass sich diese wunderbare Leere einstellt, strebe ich schon immer wieder an.

Aber die heutige Lebensweise mit Smartphones, Facebook und permanenter Erreichbarkeit macht uns das schon sehr schwer.
Ja, natürlich. Ich habe mich auch mit Demenz beschäftigt. Und meine These ist, dass wir dem Gehirn nie Auszeiten gönnen und dass das der Grund für den der Anstieg der Demenz-Erkrankungen ist. Es gibt Untersuchungen, wo man Tibetanische Mönche, die gut meditieren konnten, in den Kernspintomograph geschoben hat. Da hat man gesehen, dass sich ihre Gehirnzellen während der Meditation unheimlich gut regenerieren. Ich bin auch Schirmherr einer forensischen Klinik in Magdeburg und da habe ich einmal eine russische Psychologin getroffen. Die habe ich gefragt, ob sie auch glaubt, dass die Demenz-Erkrankungen ansteigen, weil wir dem Gehirn immer weniger Pausen gönnen. Sie hat mich schmunzelnd angesehen und gesagt: "Wissenschaftlich ist das nicht belegt - aber ich meditiere!" Wir glauben faszinierend und auf der Höhe zu sein, weil wir uns ständig mit Sachen beschäftigen. Aber ich glaube umgekehrt, dass wir lernen müssen, uns Auszeiten zu gönnen. Genauso wie bei einem Muskel, muss das Gehirn nach Anspannung auch entspannen können. Wobei ich natürlich dieses Privileg habe, dass ich Musik machen kann, mich darin verlieren und so zu meinen Auszeiten kommen kann. Aber auch wenn man Musik hört und sich darin versenkt, ist es das Gleiche. Das ist, was ich mit "Wunderbare Leere" meine. Die Engländer können das gut! Die sagen “today I don't care, maybe tomorrow“. Wir Deutsche können das gar nicht, wir sind immer besorgt. Es fällt uns schwer, uns dafür zu entscheiden, uns nichts zu scheren.

In "Unser Land" singen Sie: "In den Details stecken die Tücken!" In welchen Details stecken in Bezug auf Deutschland welche Tücken?
Wir sind gerade 25 Jahre wiedervereinigt und im Verhältnis geht es uns auch relativ gut. Wir laufen aber ein bisschen Gefahr, dass wir selbstgefällig werden, weil wir um uns herum merken, dass wir für unsere starke Wirtschaft wieder bewundert werden. Und einerseits finde ich es gut, dass man - wenn man die Vergangenheit nicht vergisst - wieder ein entspanntes Verhältnis zu Deutschland bekommt. Aber wir haben in Deutschland auch die europaweit größte Schere zwischen Arm und Reich. Das weiß kaum jemand: 10 % der Deutschen besitzen 59% des Einkommens und der Wirtschaft. Wir müssen aufpassen, dass wir über der Euphorie, sich wieder gefallen zu können, nicht vergessen, auf wessen Rücken das ausgetragen wird. Alle bewundern unsere Wirtschaftsstärke als großes Exportland, aber wir haben eine ganz hohe Altersarmut und eine ganz hohe Kinderarmut. So driftet das Land schleichend wieder auseinander. Das halte ich für sehr gefährlich. Gleichzeitig ist es für die junge Generation wichtig, dass man eine Haltung zu seinem Land hat und es trotz der Vergangenheit auch mögen darf. Denn nur dann kümmert man sich auch darum.

Was müsste passieren, damit diese Kluft zwischen Arm und Reich wieder kleiner wird?

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Herbert Grönemeyer
Das ist natürlich das Problem bei einer konservativen Regierung, die der Wirtschaft sehr nahe steht. Aber Frau Merkel als Tochter eines Pfarrers weiß glaube ich sehr genau, dass die Umverteilung besser gestaltet werden muss. Hartz IV hat auch dazu geführt, dass viele Leute mit einem Minimum an Geld ruhig gestellt werden. Trotzdem schwelen unter so einer prosperierenden Wirtschaft die sozialen Konflikte. Das sieht man auch an den Lokführerstreiks. Es kann in so einem reichen Land nicht sein, dass Rentner unter katastrophalen Bedingungen leben müssen. Die Umverteilung stimmt nicht, da muss man umsteuern.

Also mehr Steuern für die Reichen?
Da muss man gucken, wo die Umverteilung nicht stimmt. Die Renten oder die Hartz-IV-Gelder müssen erhöht werden. Und ja, dafür müssen Leute bezahlen, die mehr Geld verdienen.

In dem Lied "Feuerlicht" greifen Sie das Thema Flüchtlingswelle auf.
Da geht es um einen Flüchtling, der nach Deutschland kommt und sagt: „Ich will nicht euer Geld, ich will nur eine Minute Ruhe. Könnt ihr nicht verstehen, ich will nur zu euch, dass ihr mich beschützt, dass ich hier einen Platz bekomme, wo ich arbeiten kann.“ Ich habe versucht, das aus der Sicht eines Ankommenden zu schreiben. Deshalb ist am Schluss der Chor aus Mali. Die singen in etwa dasselbe, in einem Mali-Akzent: Ich möchte bei euch leben, Teil von euch werden. Auch in dem Song "Roter Mond" geht es um die Flüchtlingswelle. Denn ich bezeichne das schon als Völkerwanderung. Das ist das zentrale Gegenwartsproblem, das uns auch die nächsten 50 Jahre noch begleiten wird. Und je früher wir uns damit auseinandersetzen und begreifen, was das auch für eine Schönheit birgt, wie es uns kulturell weiterbringen kann, desto menschlicher gehen wir mit den Ankommenden um. Wir hören ja immer nur von den Menschen, die über den Wasserweg kommen. Aber ich habe vor ein paar Tagen im Spiegel einen Bericht über die Flüchtlinge gelesen, die durch die Sahara kommen. Das war grauenvoll: Menschen, die aus Mittelafrika versuchen, mit Schleppern und wenig Wasser durch die Sahara zum Mittelmeer zu gelangen, dabei umfallen und sterben wie die Fliegen - ganz furchtbar. Das kommt, weil wir es verpasst haben, ihnen zu helfen Bedingungen zu schaffen, die ein Leben dort lebenswert machen.

Warum sprechen Sie in dem Zusammenhang nur über Afrika? War Syrien noch kein Thema, als Sie das Lied geschrieben haben?
Das liegt an meiner Geschichte, weil ich mich für "Deine Stimme gegen Armut" engagiere und auch selbst mehrmals in Afrika war. Natürlich ist Syrien auch eine politisch grauenvolle Situation. Aber ich kann halt zu Afrika mehr sagen, weil ich da Vorort war. Und bezüglich Syrien: Das ist so eine abstruse Situation. Allein die Tatsache, dass es so eine Grausamkeit überhaupt gibt, ist für uns alle der größte Schock. Man wusste ja von Traditionalisten. Aber damit, dass sich plötzlich eine so militante Gruppe formiert, hat sicherlich keiner gerechnet. Und gleichzeitig gibt es dort nicht nur den IS sondern auch noch Assad. Das ist für uns hier im Westen extrem kompliziert. Aber Fakt ist schon auch, dass der Western versucht hat, in dieser Region Fuß zu fassen und damit sehr viel Staub aufgewirbelt hat. Das fing im Irak mit Bush und Blair an. Man darf das nicht vergessen: Wir haben schon auch angefangen, dort Unruhe zu stiften.

Die Kunst der Zufriedenheit
Herbert Grönemeyer

Sie haben seit ihrem vorigen Album auch Soundtracks für Filme geschrieben und in dem letzten auch eine kleine Rolle gehabt . . .
Ja, für "A Most Wanted Man" habe ich die Musik geschrieben. Es stand auch zur Debatte, dass ich die Hauptrolle spiele. Aber dann haben die Produzenten gesagt, mit diesem deutschen Namen kriegen wir international nicht so viel Geld. Dann haben sie zum Glück Philip Seymour Hoffman dafür gewinnen können, der leider danach verstorben ist. Das war toll. Und ich spiele jetzt seinen Vorgesetzten, der immer versucht, ihn zu schützen. Ich würde gerne wieder Filme drehen. Aber bei mir ist das immer eine Zeitfrage. Ich habe zwei Jahre an dieser Platte gearbeitet. Da kamen zwar Angebote für Filme rein, aber ich kann ja dann nicht sagen, ich hör jetzt mit der Platte auf und mache einen Film. Aber ich denke, über kurz oder lang werde ich auch wieder länger als nur zwei Tage drehen.

Zur Person

Werdegang Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer wurde am 12. April 1956 in Göttingen geboren und wuchs in Bochum auf. Er begann mit acht Jahren Klavier zu lernen, sang später im Schulchor und arbeitete nach dem Abschluss als Pianist am Schauspielhaus Bochum. Von 1978 bis 1983 veröffentlichte er vier Alben, bis ihm mit 1984 mit „Bochum“ und den Hits „Männer“ und „Alkohol“, der Durchbruch gelang.

Erfolge Herbert Grönemeyer hat allein in Deutschland über 13 Millionen Alben verkauft. Sein größter Erfolg war „Mensch“ von 2002, die meistverkaufte Platte der deutschen Musikgeschichte, mit der er nach schweren Schicksalsschlägen ein fulminantes Comeback feierte.

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