Henning Mankell kehrt Krimis den Rücken

Henning Mankell kehrt Krimis den Rücken
Der Schwede Henning Mankell hat den Kommissar Wallander in die Pension geschickt und wagt es, einen Engel in einem afrikanischen Bordell landen zu lassen.

Bestimmt könnte man es freundlicher formulieren. Aber das würde an der Aussage nichts ändern:

Es ist gut, dass Kommissar Wallander in "Der Feind im Schatten" dement geworden ist und die Kriminalserie damit ein Ende hat.

Jetzt kümmert sich der Schwede Henning Mankell verstärkt um Afrika. Um Frauen und Afrika. Er lebt ja selbst das halbe Jahr über in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, und dort wurde im alten Kolonialmuseum ein Dokument gefunden, aus dem hervorgeht:

So ums Jahr 1900, das Land war von Portugal beherrscht, besaß eine Schwedin in Maputo das größte Bordell.

Sie fand nur deshalb Erwähnung, weil sie so viel Steuer zahlte.

Im Kronleuchter

Henning Mankell kehrt Krimis den Rücken

Mehr war über sie nicht zu erfahren. Aber Mankell leitete die Notiz in eine feinsinnige Fiktion namens "Erinnerung an einen schmutzigen Engel" über ... in der jener Schimpanse im Puff, der den Kunden die Zigarren anzündet, im Kronleuchter (seinem Schlafplatz) als Symbol schaukelt:

Der weiß nicht mehr, ob er noch Affe ist oder schon Mensch. Fast allen im Roman verlieren sich; und die Übersicht verlieren sie sowieso. Und fast alle haben Angst. Vor den Weißen. Vor den Schwarzen. Vor dem Fieber.

Der Roman ist nicht märchenhaft. Aber die Heldin ist überirdisch. Ein Engel halt, den die armen Eltern in Schweden ziehen ließen, damit er nicht verhungert.

An dieser Stelle muss nicht alles nacherzählt werden. Jedenfalls geht die 18-jährige Hanna im Maputo (damals Lourenço Marques) an Land und quartiert sich nichts ahnend in einem Hotel ein, welches ein Stundenhotel ist.

Den Chef, der immerhin darauf achtet, dass Freier die afrikanischen Prostituierten nicht (zu sehr) quälen und schlagen, diesen Portugiesen heiratet sie.

Er stirbt sehr bald.

Und Hanna ist plötzlich reich. Aber wird nicht deppert wie die Rassisten in ihrer Umgebung, die Geld scheffeln, indem sie z. B. Diamanten plündern oder weiße Schäferhunde züchten, vor denen sich die Einheimischen besonders fürchten.

Hanna hasst nicht. Sie verachtet nicht. Als 20-Jährige wird sie ... schwarz.

Insofern, als sie eine Frau unterstützt, die ihren weißen Ehemann erstach – der hatte nämlich seine Familie in Portugal verheimlicht.

Dass sie sich einmischt, ist nicht einmal den Schwarzen recht, aber so sind Engel nun einmal (hoffentlich), bevor sie wegfliegen.

Mankell schafft unvergessliche Bilder. Zärtliche und brutale, heiße, staubige und eiskalte. Seiner Hanna aber hat er kein Gesicht gegeben. Man kann sich nicht vorstellen, wie der Schriftsteller sie sich beim Schreiben vorgestellt hat. Man muss sich’s selber ausmalen. Man darf.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb - „Bis zur Neige“

Henning Mankell kehrt Krimis den Rücken

Auf Seite 241 wird ein Schwimmbad in Berlin beschrieben, die Blümchen-Bikinis, der Wasserpilz im Kinderbecken ... und da steht der unüberlegte Satz:

" ... ein paar stille Leser fristen ein kärgliches Dasein am Rande der Wiese im schütteren Schatten der Bäume."

Kärgliches Dasein? Menschen fristen ein kärgliches Dasein, weil sie lieber ein Buch lesen anstatt sich auf der Rutsche die Badehose aufzureißen?

Folgende kritische Anmerkung ist geradezu aufgelegt: Klar, wenn sich die Leut im schütteren Schatten der Bäume mit einem noch schüttereren Krimi begnügen, sind sie arm.

Andernfalls aber kann Literatur ihr Dasein (am Rande der Wiese) ziemlich lebendig machen.

So.

Einigermaßen abgekühlt lässt sich hier nun über den Kriminalroman "Bis zur Neige" sagen: Er ist ein bissl besser als sein Vorgänger "Auf der Strecke".

Aber sehr lang und sehr bemüht.

Bei der Premiere 2011, als ein prominenter Schriftsteller in der Eisenbahn ermordet worden ist, haben sich die quirlige Wiener Kommissarin Anna Habel (Mitte 30) und der melancholische Berliner Polizist Thomas Bernhardt (Mitte 50) zusammengerauft.

Bis ins Bett haben sie gerauft. Jetzt hat der Deutsche, zurück in seiner Stadt, einen noch ausgeprägteren Blues.

Diesmal wird der "Edelwinzer" Freddy Bachmüller im Weinviertel umgebracht; mit Kokain im Holundersaft.

Und in Berlin wird ein Lokalbesitzer erschossen, der Freddys Spitzenveltliner im Programm hatte.

Im Debütroman war die Konstruktion mit der KPÖ und den DDR-Millionen einigermaßen überraschend. "Bis zur Neige" wurde mit dem RAF-Terror ausstaffiert. Das Autorenduo Petra Hartlieb (Wien) und Claus-Ulrich Bielefeld (Berlin) unternimmt alles, um nicht als langweilig zu gelten. Vielleicht sollte man aber einfach nur darauf verzichten, eine Mordverdächtige gleich drei Mal einzuvernehmen.

KURIER-Wertung: **** von *****

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