Hemingway: Weltberühmt durch Kollateralschäden

Wie man seine Freunde und Lehrmeister verrät und damit Erfolg hat.

Es wird geschätzt, dass von "Fiesta" – das ist "The Sun Also Rises" – noch immer weltweit jährlich 300.000 Exemplare verkauft werden.

Im ersten Jahr, 1926, gingen weniger als 20.000 Bücher weg. Aber das war ein Erfolg und die Werbemaschinerie lief, und Ernest Hemingway wurde berühmt.

Der tiefgründige Satz ist dem Roman vorangestellt: "Ihr gehört alle einer verlorenen Generation an."

Hemingway gab damit ein Zitat seiner Lehrmeisterin Gertrude Stein wieder – und plötzlich wollten viele unter 30 zur verlorenen Generation gehören (und, weil eh alles egal ist, noch mehr saufen).

Gelegenheiten

US-Journalistin Lesley M.M. Blume erzählt flott, wie der Roman "Fiesta" entstanden ist ... und das ist gleichbedeutend mit: wie Hemingway entstanden ist.

"Und alle benehmen sich daneben" müsste eigentlich den Titel "Einer benimmt sich daneben" tragen.

Aber es ist ein Zitat aus "Fiesta" und es gibt den Nachsatz: "Wenn man ihnen Gelegenheit dazu gibt."

Einer nahm sich oft die Gelegenheit.

Die, die ihn formten wie der anfangs berühmtere Sherwood Anderson ("Winesburg, Ohio" !), verspottete Hemingway später.

Wollten Reporter wissen, von wem er dieses freche, karge Schreiben gelernt habe, sagte er:

"Von der Bibel."

Und die vielen Freunde, die ihn, den unbekannten Amerikaner, in ihrer Pariser Clique aufnahmen, verriet er, indem er sie in seinem ersten Roman porträtierte und bloßstellte, zum Beispiel die Männer, die wie Stierkämpfer sein wollten und nicht einmal mehr Männer waren.

Verzahnt

M.M. Blume geht die einzelnen Lebenswege nach der Veröffentlichung von "Fiesta" mithilfe von Verwandten weiter.

Vielleicht werden Experten nichts Neues erfahren, aber dass diese Autorin alles miteinander verzahnt, das lässt es zumindest neu erscheinen.

Distanz wird gewahrt, sofern das geht. Immer wird mit Lob betont, Hemingway habe den Roman in die Moderne geführt.

Schriftsteller brauchen ja keine angenehmen Zeitgenossen zu sein, und man muss nicht unbedingt Ernest Hemingway heißen, um andere Menschen, die gut zu gebrauchen sind, auszusaugen ... um sie dann, wenn sie nicht mehr gut zu gebrauchen sind, gleichsam als Kollateralschäden auf dem Weg zum eigenen Erfolg abzulegen.

Er war halt auch in dieser Rolle großartig.

Sein Biograf fragte ihn einmal, da war er nicht mehr 27, sondern 60: "Wenn du ,Fiesta‘ noch einmal schreiben müsstest, wärst du dann milder gewesen?"

"Ach, Teufel, nein."

Da hatte ihn die Leere, die folgen musste, längst erreicht.

Lesley M.M. Blume:
„Und alle benehmen sich daneben“
Übersetzt von Jochen Stremmel.
dtv.
520 Seiten. 24,70 Euro.
Erscheint am 7. April.

KURIER-Wertung: ****

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