Heimweh nach sich selbst

"Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki": Der Rekord-Roman mit Herrn Tazaki.

Diesmal besteht nicht die Gefahr, über die Notstiege einer japanischen Autobahn in eine andere Welt mit zwei Monden zu gelangen.

Auch gibt es kein Ziegenmaul, aus dem böse kleine Menschen klettern.

Haruki Murakami hat „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ nicht nah an seiner dicken Schaumschläger-Trilogie „1Q84“ gebaut.

Eher bei der Lebenskrise in „ Naokos Lächeln“.

Eher bei „Gefährliche Geliebte“ bzw. „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“, wie der Roman seit der Neuübersetzung heißt, der das „Literarische Quartett“ im Fernsehen gesprengt hat.

Liszt ausverkauft

Murakamis neuer Roman mit Herrn Rot, Herrn Blau, Fräulein Weiß, Fräulein Schwarz ... und eben dem Herrn Tazaki stellte im Vorjahr in Japan einen Rekord auf:

Eine Million Exemplare wurden innerhalb einer Woche verkauft; und Liszt war auch ausverkauft. Denn im Buch wird sehr oft Liszts Pilgerreise „Années de pèlerinage“ aufgelegt, vor allem die passende traurige Melodie „Le mal du pays“, Heimweh also, mit dem Russen Lazar Berman am Klavier.

(In „1Q84“ war es die „Sinfonietta“ von Janáček, die Buchmenschen in Musikgeschäfte trieb.)

Warum aber ist denn Herr Tsukuru Tazaki farblos? Weil in den Nachnamen seiner einst engsten vier Freunde – zwei Mädchen, zwei Burschen – eine Farbe vorkommt. Diese Gemeinsamkeit teilte er nicht. Was er schade fand.

Und seit sie Tsukuru Tazaki verstoßen haben, er begann damals gerade zu studieren, einfach so haben sie ihn verstoßen, per Telefon, ohne einen Grund zu nennen ... seit damals hält er sich überhaupt für nichts.

Wenn hier viel verraten wird, geht zu viel verloren.

Das nämlich ist kein mit Tonnen von Material angefüllter heißer Wind unter zwei Monden.

Das ist die kleine, zarte Geschichte einer Selbstfindung, die ihre Effekte und Geheimnisse braucht. Ihre kalten Schauer, die Murakami für das Um und Auf hält.

Es bliebe allein entsetzliche Einsamkeit im Buch übrig, die der Japaner höchst einfach (und einfach großartig) einfängt.

Obwohl für den Nobelpreis gehandelt, schreckt er nicht einmal davor zurück, seitenlang darauf hinzuweisen: Tazaki wollte sich nach dem Verlust der Freunde umbringen.

„Denn die Schwelle vom Leben zum Tod wäre damals so leicht für ihn gewesen, wie ein rohes Ei zu schlucken.“ Jaja, die Sehnsucht nach dem Tod. Ja, die Tür zum Tod. Der Magen des Todes. Und der Schlund ...

Nach 16 Jahren

Heimweh nach sich selbst

Bei diesem Schriftsteller aber stört das kaum. Bei ihm will man das zwischendurch haben. Und den Sex, den er bietet. Den hat nicht nur Marcel Reich-Ranicki geschätzt.

Es ist selbstverständlich eine Frau, die „den Farblosen“ erweckt. Klug und mit Doppelleben. Sie ist es, die den Helden 16 Jahre nach der immer noch wirkenden Erschütterung auffordert, das Warum zu klären.

Bis zur nächsten großen Frage, die vielleicht (aber wirklich nur vielleicht!) lautet: Und warum ist jetzt, wenn’s mir endlich besser geht, die Frau weg?

KURIER-Wertung:

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