Harry Styles ist am besten Weg, das Boyband-Image abzuschütteln
Es gibt nur wenige, die es geschafft haben, sich nach dem Start in einer Boyband von der Marionette der Band-Produzenten zum eigenständigen, anerkannten Musikern zu entwickeln, dieses Teenidol-Image abzuschütteln und sich eine erfolgreiche Karriere als anerkannter Musiker aufzubauen. George Michael, Justin Timberlake und Robbie Williams gehören dazu. In ein paar Jahren vielleicht auch Harry Styles.
Dass auch er aus dem Boyband-Umfeld kommt, ist sofort zu hören, wenn man die Stadthalle betritt. Bekannt wurde der 28-jährige Brite 2010 mit One Direction. Jetzt ist er auf Solo-Tour, und kurz vor Beginn der Wien-Show kreischt das Publikum hoch und spitz, wenn nur ein Roadie über die Bühne huscht, kann im Pausensound bei Queens „Bohemian Rhapsody“ ohne Mühe mit Freddie Mercurys Sopran mithalten.
Ein Blick in die Runde bestätigt: Die Zuschauer sind zu 90 Prozent weiblich und unter 20. Nicht wenige haben seit dem Vortag vor der Stadthalle campiert, um als erste drinnen zu sein. Es gab Weinkrämpfe, weil viele um sehr viel Geld gefälschte Tickets bei „Viagogo“ gekauft hatten und an dem Tag, der der beste in ihrem Leben werden sollte, mit einem wertlosen Fetzen Papier dastanden.
Hysterie
Die, die drinnen sind, sind so außer sich vor Glück, dass sie mit ihrem Begrüßungsgekreische als Styles auf die Bühne kommt, den Song „Music For A Sushi Restaurant“ komplett zudecken. Doch schon bald ebbt die Hysterie ab, wird zur Euphorie und man hört, was Styles bietet: Eine klare, in vielen Stilen heimische Singstimme, und eine Band, die präzise im Zusammenspiel die unterschiedlichen Stile, die er in seinen Songs vereint, souverän meistert.
Das Programm konzentriert sich auf die Songs des jüngsten Albums „Harry's House“. Die sind zumeist Pop, der mit Soul-Einflüssen durchzogen ist. In dieser Anfangsphase spielt Styles diejenigen, deren Wirkung mehr auf den tanzbaren Rhythmen basiert, als auf einer starken Melodie.
Doch schon bald geht Styles auf eine kleine Bühne mitten im Publikum und zeigt dort mit den drei Musikerinnen seiner sechsköpfigen Band, dass er auch akustische Gitarrensongs und Singer/Songwriter-Sounds beherrscht.
„Boyfriends“ (für die Lukas aus dem Publikum das Beispiel sein darf) und „Matilda“ (über eine Frau, die in ihrer Familie nie Liebe erfahren durfte) werden zu den ersten musikalischen Höhepunkten.
Gleich danach ein atmosphärischer Höhepunkt: Bei „Lights Up“ halten die Fans im Parkett in einer selbstorganisierten Aktion A4-Zettel mit Selbstermächtigungssprüchen wie „Ich bin furchtlos“ in die Höhe, während auf den Rängen bunte Lichter leuchten.
Tanzbar
Weiter geht es mit Tanzbarem: „What Makes You Beautiful“ ist der einzige One-Direction-Song im Set, und mit Fortdauer der Show kommen immer mehr von Styles Hits: „Late Night Talking“ ist noch einmal zum Tanzen, während „Love Of My Life“ wieder als (fast) akustische Ballade punktet.
In der Zugabe ist das von den Fans zwischendurch immer wieder in Sprechchören geforderten „Medicine“ lupenreiner Rock, bevor es ins Finale mit Styles größten Hits geht. Auch wenn das bisherige Programm vielleicht noch ein wenig einen einzigartigen, unverwechselbaren Harry-Styles-Stil vermissen ließ, „Watermelon Sugar High“, „As It Was“ und das grandiose „Sign Of The Times“ zeigen, dass Styles Melodien schreiben kann, die um die Welt gehen.
Und obwohl der Sound seines Publikums in der Stadthalle andeutete, dass es noch ein bisschen braucht, bis er sich vom Boyband-Image emanzipieren kann, bewies der Sound, der von der Bühne kam, sehr deutlich, dass er auf dem besten Weg dahin ist.
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