Handkes Ideenwelt: Bereit sein für Zeichen und Zusammenhänge
Rückblickend war 1979 ein entscheidendes Jahr. Denn damals erschien mit „Langsame Heimkehr“ ein Roman von Peter Handke, der eine Wende markierte. Mehrere Schlüsselbegriffe und Ideen tauchen seither immer wieder auf.
Wie so oft bei Handke geht es auch in „Langsame Heimkehr“ um eine Reise, eine Odyssee, im konkreten Fall um die Rückkehr von Alaska in die Heimat. Bezeichnenderweise heißt das Alter Ego des Autors, der sich lange nicht mit Griffen oder gar Österreich identifizieren konnte, Valentin (wie sein Freund Valentin Hauser) Sorger.
Binnen zweier Jahre veröffentlichte Handke drei weitere Bücher, in denen Themen aus der „Langsamen Heimkehr“ variiert werden. Und so ergeben „Die Lehre der Sainte-Victoire“, das dramatische Gedicht „Über die Dörfer“ und die „Kindergeschichte“ zusammen mit dem Roman eine Tetralogie.
Frei phantasieren!
Diesen Werken gemeinsam ist, dass die Protagonisten versuchen, von „Einzelformen“ zum großen Ganzen zu gelangen. Es gilt, eine „fixe Idee“ umzusetzen. Valentin Sorgers erste Idee sei es gewesen, liest man in der „Langsamen Heimkehr“, die Feldformen der Kindheit zu beschreiben. Aber es verschlug ihn eben an den Rand der Welt. Seit Jahren war er entfernt von allem, was sich unter dem Begriff „Heimat“ oder „Familie“ verstehen lässt, er war nicht einmal mehr imstande gewesen, den Gedanken an sein Kind zu Ende zu denken.
Das Grübeln in der Einsamkeit bringt ihm die Erkenntnis: „Jeder einzelne Augenblick meines Lebens geht mit jedem anderen zusammen – ohne Hilfsglieder. Es existiert eine unmittelbare Verbindung; ich muß sie nur frei phantasieren.“ In allen vier Büchern geht es um den Zusammenhang. Und in „Die Lehre der Sainte-Victoire“ wiederholt der Ich-Erzähler, der sich mit Paul Cézanne beschäftigt, den Satz von Sorger: „Ich wusste ja: Der Zusammenhang ist möglich. Jeder einzelne Augenblick meines Lebens geht mit jedem anderen zusammen ...“
Cézanne malte oft den Berg Sainte-Victoire nahe Aix en Provence. Der Ich-Erzähler glaubt, in den Bildern eine „Bruchstelle zwischen zwei Schichten verschiedenartigen Gesteins“ erkennen zu können: „In der Natur mit dem freien Auge überhaupt nicht zu sehen, kehrt der Punkt doch auf den Bildern des Malers immer wieder, als kleinere oder größere Schattenbahn ...“ Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen den Bildern?
Der Ich-Erzähler geht „aufs Ganze“. Es geht ja „immer ums Vollenden“, wie es der Nino aus Wien ausdrückt. Allerdings lauern überall Fallen, kläffende Hunde etwa. Dann stürzen Gedankengebäude zusammen. Und es wird nichts aus dem „Bild der Bilder“ – oder dem „Mantel der Mäntel“, der D., Begleiterin des Ich-Erzählers, vorschwebt. Statt Vollendung und Triumph und kreisendes Tanzen tritt dann Chaos oder Resignation ein. Wenn das „Reich der Wörter“ nicht offensteht, dann ist das Ergebnis nur eine „Fälschung“.
Spiele das Spiel!
Nach der Tetralogie hat Handke mehrere „Versuche“ geschrieben – über den geglückten Tag, den stillen Ort oder die Müdigkeit. Sie sind aber weit mehr als nur „Versuche“: Es werden beglückend Zusammenhänge hergestellt. Und auch die Sehnsucht nach Dauer, in der „Langsamen Heimkehr“ mehrfach angesprochen, taucht immer wieder auf. Wer Handke verstehen will: Er braucht nur „Die Lehre der Sainte-Victoire“ lesen. Zentral zudem ist das Gesetz der Nova in „Über die Dörfer“ mit der Aufforderung: „Bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen.“ Und: „Spiele das Spiel.“ Denn: „Wer sagt, daß Scheitern notwendig ist?“ Ganz groß!
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