Hamlet: Der König der Schmerzen

Im Theater an der Wien holt man Ambroise Thomas’ Oper "Hamlet" vor den Vorhang. Mit gemischtem Erfolg.

Es ist auch im Operngeschäft ein bisschen wie in der Hitparade: Zuerst war die 1868 uraufgeführte Oper "Hamlet" des Franzosen Ambroise Thomas (1811–1896) ein Hit, verschwand dann aber wieder weitgehend von den Spielplänen. Im Theater an der Wien möchte man nun zur Wiederentdeckung beitragen. Also sitzt Stéphane Degout auf der düstergrauschwarz gehaltenen Bühne und fragt sich: "Sein oder nicht sein?"

Dass dieser "Hamlet" aber so richtig im Opernrepertoire fehlt, davon war man auch nach der Premiere nicht gänzlich überzeugt.

Hamlet, unglücklicher Dänenprinz, sucht wieder einmal Rache: Sein Onkel (Phillip Ens als Claudius) hatte Hamlets Vater, den König, ermordet; seine Mutter Gertrude war beteiligt. So weit, so bekannt. Und doch anders: Die Shakespeare’schen Zutaten sind alle da; nur schmeckt es ungewohnt.

Zwar hat das Werk zweifellos musikalische Höhepunkte, auch abseits der Wahnsinnsarie Ophélies, bei der die zuletzt umjubelte Christine Schäfer besonders glänzte. Aber andernorts knirschte es hörbar in der Operntretmühle: Die Musik bleibt mehr brav als bravourös, mehr emotionsheischend als emotional.

Auch die überaus engagierte Orchesterarbeit der Wiener Symphoniker unter Marc Minkowski kann den Stückwerk-Charakter der mehrfach überarbeiteten Oper nicht kaschieren.

Die Produktion selbst funktioniert eigentlich recht trefflich: Es wird schön gesungen und durchgängig intensiv gespielt. Regisseur Olivier Py bemüht sich, die politischen und psychologischen Aspekte der Handlung zu betonen, die Thomas’ Librettisten Michel Carré und Jules Barbier weniger interessierten. Revolutionäre Fahnen werden (recht plakativ) geschwenkt, gemeinsam mit der Mutter (herausragend: Stella Grigorian als Gertrude) sitzt Hamlet nackt in der Badewanne.

Potter

Hamlet ist hier nicht nur ein wenig Ödipus, sondern auch ein bisschen Sisyphos – und Harry Potter: Immer wieder muss er die Treppen rauf und runter laufen, die das Bühnenbild (Ausstattung: Pierre-André Weitz) beherrschen. Und die beweglich sind wie die magischen Stiegen in Potters Zauberschule Hogwarts.

Diese eindrücklichen Kulissen sind Stärke und Schwäche der Produktion zugleich. Die Personenführung ist dadurch phasenweise recht eingeschränkt.

Insgesamt glücken Py, der am Schluss neben Zustimmung auch einige Buhrufe kassierte, viele eindringliche Bilder, etwa wenn Ophé­lie von stilisierten Hunden umschmeichelt wird, während sie sich in den Wahnsinn singt. Überhaupt: Mit zunehmendem Fortlauf gewinnt der Abend an Tiefe. Am Schluss aber legt sich Hamlet beschwingt selbst in den Sarg, mit einem leisen Hauch von unfreiwilliger Komik. Langer Applaus.

KURIER-Wertung: *** von *****

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