Hakenschlagen als große Kunst: Die Welt der Meret Oppenheim
Ich glaube nicht, dass der Fall allzu schlimm liegt“, schrieb der Psychotherapeut C. G. Jung 1935 an den Arzt Erich Oppenheim. Der hatte seine damals 22-jährige Tochter Meret in Jungs Praxis geschickt. „Ich habe den Eindruck“, fuhr Jung fort, „dass der Kampf mit den Realitäten bei der natürlichen Intelligenz ihrer Tochter in wenigen Jahren einen Ernst hervorbringen wird, welcher an eine genügende Anpassung an die Mächte der Wirklichkeit hoffen lässt.“
Der Brief ist (als Faksimile) am Beginn der Meret-Oppenheim-Retrospektive im Wiener Bank Austria Kunstforum zu sehen (bis 14.7.) – der ersten Schau, die hierzulande das vielschichtige Werk der 1985 verstorbenen Schweizerin dokumentiert.
Meret Oppenheim im Kunstforum
Widerborstig
Mit der Hoffnung auf Anpassung, so wird dabei rasch klar, sollte Jung Unrecht behalten: Meret Oppenheim, die schon mit 17 den Beschluss fasste, Künstlerin zu werden und kurz darauf die Schule abbrach, tauchte tief in die am Traum geschulte Welt der Surrealisten ein, ließ sich aber weder von ihnen noch von anderen Stil-Schulen vereinnahmen.
Gerade weil Oppenheim 1936 mit ihrer pelzüberzogenen Teetasse – vom Surrealisten-Papst André Breton als „Frühstück im Pelz“ betitelt – früh eine Ikone der Moderne schuf, fühlte sie sich genötigt, gegen einen „Markenzeichen-Stil“ anzukämpfen. Die männerdominierte Kunstwelt rechnete ihr das prompt als Beliebigkeit an.
Kunstforum-Kuratorin Heike Eipeldauer hat nun einige Themenschwerpunkte festgemacht, durch die sich Oppenheims Werk trotz aller künstlerischer Hakenschläge erschließt: Immer wieder schuf die Künstlerin etwa Selbstporträts – mit einer Röntgenkamera, einem Tattoo-Muster im Gesicht oder verschlüsselt, als angeschwemmter Steinhaufen in Frauengestalt (1935).
Behaarter Schwanz
Das Thema der Erotik findet sich bei Oppenheim mit heiligem Unernst abgehandelt: Statt der vielfach sexuell konnotierten „Pelztasse“, die im New Yorker MoMA lagert, ist als „männliches Pendant“ das Objekt „Eichhörnchen“ von 1969 zu sehen, das den behaarten Schwanz des Nagetiers mit einem Bierkrügel kombiniert.
Die Lehren des C. G. Jung hatten übrigens einen nachhaltigen Effekt auf Oppenheim: Besonders die Idee, dass jede Seele weibliche wie männliche Teile („Animus und Anima“) beinhaltet, zeigte sich in Bildern, Objekten – und in der Selbstinszenierung der Künstlerin.
Für die feministische Kunst war Oppenheim Vorbild, gleichzeitig sträubte sie sich, von der Bewegung vereinnahmt zu werden. Impulsgeberin – Birgit Jürgenssen oder Markus Schinwald fallen als österreichische Echos ein – blieb sie dennoch. Die Retrospektive lässt Oppenheims Geist nun in formidabler Weise aufleben.
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