Macht mal Hände hoch
Kennst du Haftbefehl eigentlich?", fragt das Mädchen in der Warteschlange vor dem ausverkauften Flex. Ihr Begleiter, Mitte 20, oliv-grüner Parka, Wollmütze, stockt kurz. "Ja, schon. Aber ich bin vor allem hier, um das Phänomen zu feiern."
Das Phänomen nennt sich Haftbefehl, heißt mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan und ist ein 29-jähriger Straßenrapper aus Offenbach. Die 120.000-Einwohner-Stadt am Main grenzt direkt an Frankfurt und ist so etwas wie der kleine dreckige Bruder der hessischen Finanzmetropole. Keine Hochhäuser, dafür der Ruf, eine der gefährlichsten Städte Deutschlands zu sein. Anhans Jugend darf als durchaus typisch für die Stadt beschrieben werden. Also: Rap als einzige Aufstiegschance, man kennt das ja. Aber wie wurde aus dem Haftbefehl dieses Phänomen, das am Freitag vor allem 20-jährige Hipster aus der Innenstadt "feiern" wollten? Der Grund ist für Straßenrap-Verhältnisse ein geradezu akademischer.
"Babo" – türkisch für "Boss" oder "Anführer" – wurde 2013 zum Jugendwort des Jahres gewählt. Anhan hatte den Begriff mit seinem Song "Chabo muss wissen, wer der Babo ist", populär gemacht, was ihm auch die Sympathien des deutschen Feuilletons bescherte, wo er seitdem als großer Spracherneuerer gefeiert wird. Sein Album "Russisch Roulette", sorgte für geradezu hymnische Kritiken.
"Dichter der Stunde"
"Short Storys von der Wucht eines Clemens Meyer und der Verspieltheit eines Dadaisten auf Speed", konstatierte etwa die Zeit und zeigte sich überzeugt: Anhan ist "der deutsche Dichter der Stunde".
Mit seiner Mischung aus Arabisch, Türkisch und Deutsch hat Haftbefehl eine eigene Sprache, die Sprache seiner Heimat Offenbach, gefunden. Die einzigen Wörter, die er dabei auslässt, sind Artikel: "Du weißt, dass ich Babo bin." Und doch erinnern die Loblieder, die da angestimmt wurden an die Berichterstattung über das RTL-Dschungelcamp: Ein Trash-Ereignis, das als intellektuelle Fingerübung zum medialen Selbstläufer, zum Phänomen, wird.
Und wie funktioniert Haftbefehl ohne die ironisierte Erklärung dazu? Nur bedingt. Im ausverkauften Flex – es ist nach München die zweite Station seiner "Lass die Affen aus’m Zoo"-Tour – scheint der hessische Jung’ lange gehemmt. Statt dicker Posen, wie er sie in seinen Songs gerne beschreibt ("Wasch’ die Hände mit Evian und pisse Dom Pérignon"), zeigt er nur kleine Bewegungen. Unterstützung bekommt er neben einem – ziemlich verhaltenen – Schlagzeuger von seiner vier Mann starken Crew: "Macht mal Hände hoch, Alter", "Lass mal durchdrehen, Alter." Immerhin: Die elektronischen Beats bringen einige Hipster tatsächlich zum Kopfnicken. Phänomenal ist das aber nicht.
KURIER-Wertung:
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