Große Kunst: "Immer noch Sturm"

Große Kunst: "Immer noch Sturm"
Kritik - Ein Hochamt für Handke gab es im Burgtheater zu sehen. Ein vibrierendes Traum- und Traumaspiel.

Montagabend war im Burgtheater einer Beglückung beizuwohnen. In Form der Wiener Premiere von Peter Handkes "Immer noch Sturm". Und in Form der Erkenntnis, dass Dialog, dass Diskussion zwischen Obenstehern und Untensitzern am Theater möglich und wichtig ist. Weil Beglückung so passieren kann.

Die Uraufführung, inszeniert von Dimiter Gotscheff, war bei den Salzburger Festspielen kontroversiell aufgenommen worden. Eines der härtesten Urteile fällte die FAZ mit der Feststellung, es sei ein Missverständnis anzunehmen, dass Handkes Wort "nicht ausschließlich in einen lesenden Kopf gehört". Gotscheff hat also gründlich nachjustiert und seine Arbeit um eine gute Dreiviertelstunde gekürzt. Meist zulasten der tiefgründelnden Oberflächlichkeit der Jens-Harzer-Rolle, der Handkes Bühnen-Ich verkörpert. Allein schon dessen im Kreis gehend vorgetragener, im Kreis gedachter 40-minütiger Schlussmonolog wurde seit Salzburg halbiert. Was kein Fehler ist.

Denn mit der Erschlankung kam die Dynamik. Aus Rampenrednern wurden Miteinander-Spieler. Aus textfromm wurde textgescheit. Aus Gruppenbild mit Ansager, heißt: aus starrer Pose wurde reine Bühnenpoesie. Plötzlich war Platz für Emotion, Aggression, sogar für eine Jugoslawien-Erregung. Alles, ohne dass Gotscheff seinen Stil, seine Handschrift, seine Leitthese abgeändert oder gar verraten hätte. Was große Kunst ist.

Nestroypreis

Gotscheffs Abend ist immer noch ein Hochamt für Handke - "So, genug jetzt mit der Messe!" scherzt Harzer in Anspielung an die Kritik einmal. Aber der Regisseur hat sich nun einen Hallraum geöffnet, in dem er dieses Traum- und Traumaspiel vibrieren lassen kann. Die Schauspieler, neben Harzer u. a. Oda Thormeyer, Tilo Werner, Bibiana Beglau, Hans Löw und Gabriela Maria Schmeide, agieren großartiger als zuletzt. Sie sind jetzt eins mit dem Text.

Für "Immer noch Sturm" wird Handke der Nestroy-Autorenpreis verliehen. Der Autor verquickt darin die Geschichte seiner Vorfahren, ihren verzweifelten Kampf um Sprache und Identität, mit dem Widerstand der Kärntner Slowenen gegen die NS-Diktatur. Ein wunderbares, hochdramatisches, ein wenig verschrobenes Gedicht.

KURIER-Wertung
: ***** von *****

Kommentare